Wieder vor Gericht: Geheimdienstliche Massenüberwachung und das Menschenrecht auf Privatheit

Überwachungsinstallation des GCHQ in Bude, an der Küste von Cornwall. CC-BY-NC-ND 2.0 superdove Es gibt erfreuliche Neuigkeiten vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg: Zwei Urteile aus dem letzten Jahr, die europäischen Auslandsgeheimdiensten die ungebremste Überwachung von Kommunikationsdaten bereits eingeschränkt hatten, könnten noch nachjustiert werden. Für gleich zwei Beschwerdefälle, die im Jahr 2018 entschieden worden waren, hat die Große Kammer des Gerichts nun mündliche Anhörungen anberaumt.

Beim EGMR laufen bereits seit dem Jahr 2013 mehrere Beschwerden gegen die britische Regierung und das GCHQ wegen der geheimdienstlichen Massenüberwachung, wegen fehlender Aufsichts- und Rechenschaftspflichten und wegen mangelnder Nachprüfbarkeit der Überwachungsmethoden durch Parlament und Gerichte. Die Entscheidung gegen die britische Regierung vom 13. September 2018 (pdf) verurteilte das Abgreifen gewaltiger Mengen von Verkehrsdaten durch das GCHQ als teilweise menschenrechtswidrig , beendete die Massenüberwachung aber nicht.

Anders als etwa beim deutschen Bundesverfassungsgericht ist ein Urteil aus Straßburg nicht in jedem Fall das Ende einer Beschwerde, sondern kann innerhalb von drei Monaten vor die Große Kammer gebracht werden. Dass der Gerichtshof den britischen Fall nochmals betrachten wird , hatten die beteiligten Bürgerrechtsorganisationen bereits Anfang Februar mitgeteilt. Nun liegt auch der Termin für zwei mündliche Anhörungen vor, die nicht nur die Regierung von Großbritannien, sondern in einem zweiten Beschwerdefall auch die von Schweden betreffen. Der Gerichtshof hat sie für den 10. Juli 2019 angekündigt: Vormittags ab 9.15 Uhr geht es um den britischen, nachmittags ab 14.45 Uhr um den schwedischen Geheimdienst.

Ausgangspunkt für die Beschwerde gegen die britische Regierung waren die Veröffentlichungen über die Spähprogramme PRISM und TEMPORA im Jahr 2013, an denen federführend der Geheimdienst GCHQ mitwirkt. Das GCHQ schnorchelt im Verborgenen alle nur greifbaren Internet-Verkehrsdaten ab, insbesondere bei den auf britischem Gebiet anlandenden Unterseekabeln . Die Kommunikationsdaten werden millionenfach verarbeitet, selektiert und teilweise dauerhaft gespeichert.

Großbritannien hat aber mit der Europäischen Menschenrechtskonvention einen völkerrechtlichen Vertrag ratifiziert, auf den sich die Beschwerdeführer beim EGMR berufen. Konkret garantiert nämlich Artikel 8 dieser Konvention, dass jede Person „das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz“ hat.

Das Gebäude des EGMR in Straßburg. CC-BY-NC 2.0 mitko_denev

Das Gericht in Straßburg hatte drei verschiedene Verfahren gegen Großbritannien zusammengezogen: die Beschwerde „Privacy not Prism“ von Big Brother Watch, Open Rights Group und PEN (58170/13), die Beschwerde des Bureau of Investigative Journalism (62322/14) sowie eine dritte Beschwerde von zehn weiteren Menschenrechtsorganisationen (24960/15). Am Nachmittag geht es dann um einen ähnlich gelagerten Fall des Centrum för rättvisa gegen ein schwedisches Gesetz, das ebenfalls weitgreifende Kommunikationsüberwachung erlaubt (35252/08). Beide Anhörungen werden vor der Großen Kammer stattfinden.

Die Menschenrechtskonvention und die Internetüberwachung der britischen und schwedischen Geheimdienste

Schon bevor das Urteil zum GCHQ-Fall im September gefallen war, beschloss die britische Regierung gesetzliche Änderungen, so dass der Spruch der Richter nicht unmittelbar dazu geführt hatte, dass die Regelungen zur geheimdienstlichen Massenüberwachung überarbeitet werden mussten. Das könnte nun bei einem etwaigen zweiten Urteil anders sein, sofern die Argumente der Beschwerdeführer das Gericht überzeugen, dass die Briten nicht nur gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen, sondern auch, dass konkrete Vorgaben beispielsweise bei der Kontrolle der Geheimdienste oder bei der Datenweitergabe festzuschreiben wären. Im schwedischen Fall könnten die Folgen eines neuen Urteils noch schwerwiegender sein, da das Centrum för rättvisa im vergangenen Jahr eine Niederlage in Straßburg einstecken musste und ein neues Urteil sehr wahrscheinlich eine Verbesserung des Schutzes der Menschenrechte bringen würde.

Die Beschwerdeführer werden nun nochmals die Gelegenheit haben, dem Gericht zuerst schriftlich und im Juli dann mündlich darzulegen, welche der Internetüberwachungspraktiken der britischen und schwedischen Geheimdienste in unverhältnismäßiger Weise gegen das Menschenrecht auf Privatheit verstoßen. Inhaltlich wird es zudem darum gehen, wie eine sinnvolle rechtliche und tatsächliche Kontrolle und Aufsicht der Massenüberwachung gestaltet werden müsste und unter welchen Umständen die Betroffenen wie zu informieren wären. Es besteht sogar die Chance, dass die anlasslose und massenhafte Überwachung durch Geheimdienste an sich als unvereinbar mit der Menschenrechtskonvention erklärt werden könnte.

Wir werden sowohl von der Anhörung im Juli als auch über die Entscheidungen berichten.

Offenlegung: Ich bin selbst eine der Beschwerdeführerinnen in dem Verfahren „Privacy not Prism“ gegen die britische Regierung.

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Erstellt am: 5. März 2019

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