Transparenzbericht: Unsere Einnahmen und Ausgaben im Januar 2019

Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Kat Yukawa Schöner Januar: Mehr Spenden als Ausgaben

Das neue Jahr ist für unsere nachhaltige Finanzierung gut gestartet. Dank Eurer Unterstützung haben wir insgesamt 56.733 Euro eingenommen. Davon waren alleine 54.761 Euro Spenden im Sinne unserer freiwilligen Leser:innenfinanzierung von 2882 Spender:innen. Dazu kamen Rückerstattungen in Höhe von 1.237 Euro, eine Stellenanzeige haben wir für zwei Wochen zum Preis von 595 Euro verkauft und durch die Lizenzierung unserer Inhalte für einen Pressespiegel weitere 139 Euro eingenommen.

Dem standen Ausgaben von 54.617 Euro gegenüber. Diese waren überdurchschnittlich hoch, weil wir alleine 7.301 Euro investiert haben in T-Shirts, Pullover und weitere Gegenstände, die demnächst in unserem Onlineshop mit unserem „Fight for your digital rights“-Slogan gekauft werden können. Das war also eine Investition in die Zukunft, von der wir hoffen und ausgehen, dass die Ausgaben wieder durch Verkäufe reinkommen. Und wir Euch zum ersten Mal die Möglichkeit bieten können, unsere Merchandise-Produkte für alle Interessierten außerhalb unseres Büros und auserwählter Konferenzen zu erwerben.

Höhere Ausgaben dank Arbeitskampf

Der größte Posten bei den Ausgaben war traditionell den Personalkosten vorgesehen. Mit 36.331 Euro finanzierten wir 15 Personen auf zehn Vollzeitstellen verteilt. Die etwas erhöhten Ausgaben waren auch Ergebnis eines Arbeitskampfes unserer studentischen Mitarbeiter, die wir in ihrer Finanzierung jetzt an den Tarifvertrag studentischer Mitarbeiter an Berliner Universitäten angepasst haben. Wir hatten auch kaum Argumente gegen ihr Anliegen, sondern im Gegenteil: sie verdienen dieses Gehalt auf jeden Fall, denn sie sind ein wichtiger Bestandteil für das Funktionieren von netzpolitik.org. Auch das Gehalt für unser gesamtes Redaktionsteam wird im April in Richtung Tarif für Journalist:innen angepasst.

Trotz Investitionen: Mehr als 2.000 Euro Plus gemacht

Für die Miete inklusive Full-Service haben wir 3.677 Euro gezahlt, der Bürobedarf lag mit 1.783 Euro besonders hoch und für die Verschickung von Spendenquittungen haben wir 360 Euro für Porto und Briefmarken ausgegeben. Dafür konnten wir mittlerweile alle Spendenquittungen für 2018 bearbeiten und verschicken.

Für Externe zahlten wir 3.738 Euro, das waren vor allem Steuerberatung (Steuerklärung) und Buchhaltung.

(Bank-)Gebühren haben uns 416 Euro gekostet und Reisekosten nur 158 Euro. Für Abos anderer Medien gingen 63 Euro drauf, 70 Euro hat die Erstattung eines Presseausweises gekostet, 88 Euro Erneuerung von einzelnen Versicherungen und die letzte Klausurtagung wurde mit 632 Euro finanziert.

Damit haben wir im Januar 2116 Euro plus gemacht. Vielen Dank für die Unterstützung.

Wir sind gespannt, was dieses Jahr kommt. Wir kalkulieren 2019 mit rund 550.000 Euro und einem durchschnittlichen monatlichen Spendenziel von rund 46.000 Euro. Mehr Einnahmen können wir in den Ausbau unserer Redaktion stecken, sowie Rücklagen für mögliche juristische Streitigkeiten anlegen, in die wir aufgrund unserer Arbeit häufiger mal reingezogen werden. Irgendwas kann ja immer sein. Ob wir vor Gericht mittels Informationsfreiheitsgesetz für mehr Freiheiten kämpfen oder uns aufgrund unserer kritischen Berichterstattung verteidigen müssen.

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Wie der Brexit das Internet verändert

Der Brexit verändert nicht nur das Vereinigte Königreich nachhaltig, sondern womöglich auch das Internet. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Emily Wang Großbritannien wird sich demnächst nicht nur von Europa und dem Rest der Welt abnabeln, wenn in wenigen Wochen der Brexit (vielleicht) über die Bühne geht. Die Insel könnte auch eine Vorreiterrolle bei der Plattformregulierung einnehmen, folgt die britische Regierung den weitreichenden Empfehlungen eines parlamentarischen Ausschusses . Damit könnte sich das Land, das Massenüberwachung, vorinstallierten Porno-Filtern oder Staatstrojanern nicht sonderlich kritisch gegenübersteht, noch weiter isolieren – oder eine Vorbildwirkung für andere Länder entfalten, im Guten wie im Schlechten.

Die Forderungen des Parlaments haben es in sich. Sie bilden weite Teile der derzeitigen Debatte ab und zeigen konkrete Wege auf, wie demokratische Gesellschaften mit dominanten sozialen Netzwerken, algorithmischen Black Boxen und Manipulationen von Nutzern oder gar ganzen Wahlgängen umgehen sollen: Anbieter wie Facebook könnten künftig für „schädliche Inhalte“ haftbar gemacht werden, die Nutzer posten; sie sollten ihre Sicherheitsmechanismen und Algorithmen gegenüber Aufsichtsbehörden offenlegen; aus Rohdaten abgeleitete Informationen sollten genauso geschützt werden wie personenbezogene Daten; und übermächtige IT-Konzerne könnten sogar ganz zerschlagen werden, wenn sie sich zu einem Monopol entwickeln.

Pulverfass Brexit

Aus dem Nichts kommen diese in der letzten Woche vorgestellten Vorschläge nicht. Tatsächlich sind sie untrennbar mit der denkbar knapp ausgegangenen Volksabstimmung über den britischen EU-Austritt verbunden. Bei der kam es sowohl off- als auch online massiv zu gezielter Desinformation, dunklen Geldflüssen und intransparenten Seilschaften – insbesondere im Lager der Brexit-Befürworter. Viele zweifeln deshalb grundsätzlich die Legitimität des Resultats des Referendums an. Um diesen Vorwürfen auf den Grund zu gehen, richtete das britische Unterhaus schließlich eine eigene Kommission ein.

18 Monate lang hatten Abgeordnete des Ausschusses für Digitales, Kultur, Medien und Sport das giftige Ökosystem aus Desinformation, Meinungsmanipulation, Wahlbeeinflussung und Datenmissbrauch unter die Lupe genommen. Neuen Zündstoff erhielt die Untersuchung nach dem Bekanntwerden des Datenskandals rund um Facebook und Cambridge Analytica . Aufsehenerregende Aussagen des Whistleblowers Christopher Wylie zeigten fragwürdige Verflechtungen zwischen der EU-Austrittskampagne und Datenanalysefirmen auf, die Spuren reichten vom Putinschen Russland bis in den US-Präsidentschaftswahlkampf von Donald Trump. Herausgekommen ist nun ein über 100 Seiten starkes Papier mit greifbaren Forderungen an Premierministerin Theresa May. Inhaltlich deckt es sich weitgehend mit dem Zwischenbericht, über den wir im letzten Sommer ausführlich berichteten .

Ob die konservative Regierung die Vorschläge der mehrheitlich ebenfalls konservativen Abgeordneten umsetzen wird, steht in den Sternen – schon allein, weil sie mit dem nahenden Brexit hoffnungslos überfordert ist und dies wohl auf absehbare Zeit bleiben wird. Und auch, weil führende Brexit-Befürworter wie Michael Gove oder Stephen Parkinson mittlerweile hohe Regierungsämter bekleiden. Beide spielten eine wichtige Rolle in der „Vote Leave“-Kampagne. Diese hatte die kanadische Datenfirma AggregateIQ (AIQ) beauftragt, Wähler gezielt mittels Micro-Targeting anzusprechen – mit von Facebook abgezogenen Informationen über die jeweiligen Menschen, die in Profile gegossen wurden. Weil all dies halb bis gänzlich illegal war, hat Facebook das mit der Cambridge-Analytica-Mutter SCL Group undurchsichtig verbandelte Unternehmen inzwischen suspendiert . Doch da war das Kind schon längst in den Brunnen gefallen.

„Frontalangriff aufs Internet“ lebt weiter

Ganz abwegig ist eine zumindest teilweise Umsetzung der Empfehlungen des Ausschusses allerdings nicht, selbst wenn der britische Ex-Vizepremier Nick Clegg, ein Intimkenner der britischen Innenpolitik, mittlerweile zum Chef-Lobbyisten Facebooks bestellt wurde. So zogen die Konservativen mit einem Manifest in die letzte Wahl , das sich als „Frontalangriff aufs Internet“ bezeichnen lässt. Darin forderten die letztlich siegreichen Tories unter anderem, „schädliche Inhalte“ aus dem Netz zu fegen, um das Vereinigte Königreich zum „sichersten Platz online“ zu machen. „Schädliche Inhalte“ können natürlich alles mögliche sein, die Spannbreite reicht vom entblößten Nippel bis zum Enthauptungsvideo.

Bei einer reinen Insellösung blieb es dabei nicht: Auf die europäische Ebene schaffte es etwa der Vorschlag, diesen Löschansatz auf „terroristische Propaganda“ im Netz auszuweiten. Den brisanten Verordnungsentwurf , der die Meinungs- und Informationsfreiheit im Internet spürbar einschränken könnte, verhandelt derzeit das EU-Parlament – ausgerechnet unter der Federführung eines konservativen Briten .

Nun wäre es unfair, den EU-Gesetzentwurf allein dem Vereinigten Königreich anzulasten. Schließlich erhielt der Plan tatkräftige Unterstützung aus Deutschland und Frankreich . Und just auf verhältnismäßig neue gesetzliche Regelungen – die ersten Versuche, Plattformen in die Pflicht zu nehmen – dieser beiden Länder bezieht sich der parlamentarische Bericht, namentlich auf das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) sowie auf das französische Gesetz gegen Desinformation in Wahlkampfzeiten .

Insbesondere das NetzDG hätte Anbieter wie Facebook dazu gebracht, es nicht bei Lippenbekenntnissen zu belassen: „Als ein Resultat dieses Gesetzes arbeitet nun einer von sechs Facebook-Moderatoren in Deutschland“, heißt es in dem Bericht. Dies sei ein Beleg dafür, dass solche Gesetze, verknüpft mit hohen Geldstrafen bei etwaigen Verstößen, funktionieren würden.

Soziale Netzwerke sind keine „neutralen“ Vermittler

Doch an dieser Stelle wollen die britischen Abgeordneten nicht stehen bleiben und fordern von ihrer Regierung, Nägel mit Köpfen zu machen. Facebook, Twitter & Co. dürften sich nicht mehr hinter der vorgeschobenen Behauptung verstecken, lediglich neutrale Plattformen zu sein, um sich der Haftung zu entziehen. Stattdessen brauche es eine neue Kategorie für solche IT-Unternehmen, die irgendwo zwischen „Plattform“ und „Herausgeber“ liegen soll. „Dieser Ansatz würde dafür sorgen, dass Tech-Unternehmen die rechtliche Verantwortung übernehmen für schädliche Inhalte, die von Nutzern gepostet werden“, schreiben die Parlamentarier.

Mit anderen Worten: Plattformen müssten sämtliche Inhalte filtern, erkennen, einschätzen und gegebenenfalls löschen. Oder sie entsprechend markieren, sollte es sich beispielsweise um politische Werbung handeln. Durchsetzen soll das ein verbindlicher Ethik-Codex und letztlich eine gesetzliche Regelung, fordern die Abgeordneten.

Grundsätzlich verkehrt sind diese Vorschläge nicht. Allerspätestens, seit Facebook, Youtube & Co. begonnen haben, die Inhalte auf ihren Plattformen algorithmisch zu bewerten, sie unterschiedlich zu behandeln und zum Zwecke der Gewinnmaximierung, unabhängig vom Wahrheitsgehalt oder Nutzwert, besonders aufregende Inhalte nach oben zu spülen , ist die Mär vom „neutralen Anbieter“ nicht mehr zu halten.

Aber wie so oft steckt der Teufel im Detail. Denn eine gesetzliche Regelung muss auf einer soliden rechtlichen Basis stehen und die Verantwortung für Entscheidungen, die Grundrechte einschränken, nicht auf die Konzerne selbst abschieben – auch wenn die zuständigen Politiker meinen, etwas anderes zu behaupten.

Löschen, was unerwünscht ist

So dreht sich der Großteil der Kritik am NetzDG wie an der geplanten EU-Anti-Terror-Verordnung um die immer weiter voranschreitende privatisierte Rechtsdurchsetzung im digitalen Raum. Am demokratischen Rechtsstaat vorbei etabliert sich zunehmend ein paralleles Rechtssystem, das auf privaten, sich ständige wandelnden AGBs , Gemeinschaftsrichtlinien oder sonstigen kommerziell orientierten Regelwerken fußt. Entfernt wird zudem nicht notwendigerweise , was tatsächlich illegal, sondern was auf der jeweiligen Plattform gerade unerwünscht ist.

Gekoppelt damit, dass sich die moderne digitale Öffentlichkeit und Meinungsbildung inzwischen auf nur einer Handvoll von Plattformen abspielt – ein Markt, der zur Monopolbildung neigt – und sich viele Politiker wider besseres Wissen technikgläubig zeigen, droht eine willkürliche Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit . Rufe nach einer Regulierung von sozialen Netzwerken klingen gut, bleiben aber oft bemerkenswert unscharf, wenn es an die konkrete Umsetzung geht.

So verwies der Ausschussvorsitzende Damian Collins gegenüber dem Guardian auf die deutschen und französischen Ansätze, um die algorithmisch verstärkten Probleme von Hassrede und Desinformation in den Griff zu bekommen . Zugleich machte Collins jedoch deutlich, von wem er sich welche Lösung erwartet: Soziale Netzwerke „könnten mehr investieren, um mit [Hassrede und Desinformation] umzugehen und proaktiv diese Inhalte selbst zu erkennen“, sagte Collins. Ein Lösungsvorschlag, der sich auch in der EU-Verordnung gegen Terrorismus wiederfindet, aber automatisierten und mit Künstlicher Intelligenz gestützten Filtersystemen zu viel Vertrauen schenkt.

Allen wohlmeinenden Absichtserklärungen zum Trotz: Am Ende des Tages würde erst recht wieder Facebook selbst entscheiden. Dabei stellen die Abgeordneten in ihrem Bericht fest: „Unternehmen wie Facebook sollte es nicht erlaubt sein, sich wie ‚digitale Gangster‘ in der Online-Welt zu benehmen und zu glauben, über dem Recht zu stehen.“

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Europaparlament verbreitet auf Twitter einseitiges und irreführendes Video zur Urheberrechtsreform

Ausschnitt aus dem umstrittenen Video. Im Bild: Axel Voss. Alle Rechte vorbehalten Europaparlament Der offizielle Twitter-Account des EU-Parlamentes verbreitet vor der Abstimmung ein einseitiges Video für die umstrittene Urheberrechtsreform , in der nur die Position von Axel Voss vorkommt. Das ist ungewöhnlich, denn Parlamentsaccounts werden in der Regel überparteilich geführt und die letztendliche Zustimmung zur Reform ist noch nicht sicher. Die Europaabgeordnete Julia Reda sagt auf Twitter , dass die Kritik am Video des Europarlamentes berechtigt sei. Gegenüber netzpolitik.org bezeichnet sie das Video als politisch einseitig und skandalös.

Nach den Ausfällen der EU-Kommission gegenüber Gegner der Reform, diese hatte Kritiker als Mob bezeichnet, hätte das nicht nochmal passieren dürfen, so die Piraten-Politikerin, die für die grüne Fraktion im Parlament sitzt. „Das Parlament sollte in seiner Kommunikation Neutralität wahren, bis die Entscheidung über die Urheberrechtsreform getroffen ist. Das Video erweckt nicht nur den Eindruck, die Entscheidung sei bereits gefallen, es enthält auch einige sachliche Fehler und problematische Aspekte.“

Falschinformationen im Video

Im Video wird behauptet, dass Plattformen weniger von Artikel 13 betroffen seien, wenn sie weniger als zehn Millionen globalen Umsatz oder fünf Millionen Unique Visitors im Monat haben. Tatsächlich müssen allerdings beide Voraussetzungen erfüllt sein – und die Plattform darf nicht älter als drei Jahre sein. Eine weitere Falschbehauptung sei, dass die Richtlinie keine Verpflichtung enthalte, Uploadfilter zu installieren. Diese Verpflichtung gibt es aber in Artikel 13 (4) Punkt (b) und (c), wenn die Plattform der Haftung für Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer:innen entgehen will, so Reda weiter . Zudem ist im Video eine PR-Aktion der Urheberrechts-Lobbyorganisation „Europe for Creators“ zu sehen. Proteste und Gegenstimmen zur Reform kommen im Video hingegen nicht vor, vielmehr wird beschwichtigt und weggelassen.

Verantwortlich für die Veröffentlichungen des Europäischen Parlaments ist der Generaldirektor für Kommunikation, Jaume Duch Guillot. Julia Reda hat als Mitglied des Parlaments das Recht, alle Dokumente einzusehen, die zur Veröffentlichung dieses Videos geführt haben. Reda hat einen Antrag auf Wahrnehmung dieses Rechts gestellt und wird auf diese Weise hoffentlich bald genaueres sagen können, wie das Video entstanden ist. Auch der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken beschwerte sich auf Twitter über ein „faktisch inkorrektes Video“. Er hat sich nach eigener Auskunft schon beim Präsidenten des EU-Parlamentes über das Video beschwert.

Auf Anfrage von netzpolitik.org wollte ein Sprecher des Europaparlamentes kein offizielles Statement zum umstrittenen Video abgeben.

Immer mehr Kritik und Proteste auf der Straße

Unterdessen wird die Liste der Kritiker der Urheberrechtsreform immer länger. Nach dem Bundesdatenschutzbeaufragten kritisiert nun auch die Gesellschaft für Informatik e.V. (GI)   die in wenigen Wochen vom EU-Parlament zu verabschiedende EU-Richtlinie zur Urheberrechtsreform. Der Verein fürchtet, wie viele andere Organisationen, dass durch den Artikel 13 eine Zensurinfrastruktur etabliert werden könnte. Der Präsident der GI, Prof. Dr. Hannes Federrath, sagt: „Es ist richtig und wichtig, das Urheberrecht an das digitale Zeitalter anzupassen. Die hier vorgeschlagene automatisierte Prüfung auf Urheberrechtsverletzungen legt jedoch den technischen Grundstein für eine Zensur- und Kontrollinfrastruktur im Internet. Zugleich wird sie Urheberrechtsverletzungen und kriminelle Inhalte nicht wirkungsvoll verhindern können.“ Deshalb appelliert die Gesellschaft für Informatik an alle Europaabgeordneten, das endgültige Inkrafttreten der Richtlinie in ihrer aktuellen Form in der anstehenden Abstimmung im Europaparlament abzulehnen.

In Deutschland und anderen europäischen Ländern sind außerdem zahlreiche Proteste auf der Straße angekündigt. Schon am Samstag, den 2. März wird es eine Demonstration in Berlin geben , für den 23. März sind dann viele Demonstrationen in ganz Europa geplant . Aufgrund der Dynamik der Proteste, kann es gut sein, dass noch weitere Aktionen in den kommenden Wochen hinzukommen. Neben Straßenprotesten gibt es auch eine europaweite Telefonaktion, bei der Bürgerinnen und Bürger ihre Abgeordneten anrufen sollen. Ein Tool unter Pledge2019.eu bietet dafür die komplette Infrastruktur (wir berichteten ). Die endgültige Abstimmung für die Urheberrechtsreform ist derzeit zwischen dem 25.-28. März angesetzt, der 27. März gilt als möglicher Favorit.

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Kopf oder Zahl? Der Preis des Widerstands gegen ein perfektes System

Wenn alles vorherbestimmt ist, hilft nur noch der Zufall. CC-BY 2.0 Phil Long Die folgenden Auszüge stammen aus dem Roman „Der Würfel“ , der am 28. Februar im Atrium Verlag erschienen ist. Der Autor Bijan Moini ist im Zweitberuf Syndikusrechtsanwalt der Gesellschaft für Freiheitsrechte und lebt in Berlin. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Alle Rechte vorbehalten.

Kapitel 1

Die Fenster waren mit schwarzer Folie überzogen. Es roch nach feuchtem Holz und chlorhaltigem Schimmelentferner. Die Lüftung im Bad und der Abzug in der Küche surrten auf Hochtouren. Ein schwerer Vorhang versperrte den Blick in den Flur, davor stapelten sich ungeöffnete Pakete.

Taso lag in Boxershorts und T-Shirt auf dem Schlafsofa. Seine Finger spielten geübt mit einer großen silbernen Münze, als von außen etwas leise an der Scheibe kratzte. Er erstarrte und lauschte, bis das Geräusch verstummte. Nachdem es still blieb, wandte er sich zur Deckenlampe und schloss abwechselnd das linke und das rechte Auge. Mal verdeckte der hängende Lampenschirm die Uhr über der Küchentür, mal nicht. Mal hatte er alle Zeit der Welt, mal war er zu spät.

Schon zum fünften Mal warf er die Münze in die Luft und fing sie mit der flachen Hand wieder auf. Bei den vorherigen Würfen hatte die kaum noch erkennbare Kopfseite oben gelegen. Nun war es die ebenso abgewetzte Fünf.

Taso stöhnte – aber Zahl war Zahl. Missmutig erhob er sich und schlurfte zum offenen Kleiderschrank neben dem Sofa. Die vielen Kleiderbügel waren jeweils von eins bis sechs nummeriert: Auf den ersten sechs Bügeln hingen Hosen verschiedener Farben und Schnitte, auf den nächsten Hemden, dann Pullover und Jacken. Darunter standen mehrere Paar Schuhe. Er beugte sich über einige Bauchfalten nach unten, entnahm einer Schublade des Schranks fünf Würfel und warf sie auf den Boden. Der Würfel, der dem Schrank am nächsten lag, zeigte eine Zwei. Taso griff nach dem zweiten Bügel der Stange. Die weiße Schlaghose also. Der zweitnächste Würfel zeigte eine Sechs. Taso verzog das Gesicht und nahm den sechsten Hemdenbügel aus dem Schrank.

Nachdem er sich vollständig angezogen hatte, prüfte er im Badspiegel seufzend seine Erscheinung. Hawaiihemd, Wollpullover und Jeansjacke passten nicht besonders gut zu Schlaghose und Turnschuhen. Er war zwar gewohnt, wie ein Verrückter rumzulaufen, aber so ganz überwunden hatte er seine Eitelkeit nie. Er strich sich etwas Haargel auf die Finger und verteilte es wild in seinen dunkelbraunen Haaren, damit sie ihm nicht mehr vor die Augen fielen. Während er sich die Hände wusch, vermied er weitere Blicke in den Spiegel. Vielleicht sollte er ihn abhängen, um sich unnötiges Leid zu ersparen. Oder einfach auch mit schwarzer Folie überkleben.

Zurück im Zimmer nahm er ein kugelförmiges Päckchen mit einer feinen Schleife vom Tisch und steckte es in die linke Hosentasche. In die rechte schob er routiniert seine Münze, trat durch den Vorhang in den Flur und schloss ihn so hinter sich, dass vom Rest der Wohnung nichts mehr zu sehen war. Auf einer Kommode neben der leeren Garderobe stand eine kleine schwarze Box. Er öffnete sie mit demselben Widerwillen wie früher seine Zahnspangendose. Sie war vollständig mit Schaumstoff ausgekleidet, der einen Behälter mit zwei Klappen schützte. Oder besser: Taso vor seinem Inhalt.

Unter der ersten Klappe schwammen zwei braune Kontaktlinsen in einer milchigen Flüssigkeit. Auf ihre Oberfläche war ein Abbild von Tasos Augen gelasert, die schwarzen Pupillen waren kleine Kameras. Mit gestrecktem Zeigefinger setzte sich Taso die Linsen nacheinander ins Auge; sofort sogen sie sich an seinem Augapfel fest. Taso verabscheute dieses Gefühl und mehr noch, was darauf folgte. Für einen Moment war alles schwarz. Dann sah er wieder die Garderobe im Flur, übertragen von den Kameras in seinen Augen. Vor ihm drehte sich ein dreidimensionaler Würfel ein paar Sekunden um die eigene Achse und wechselte dabei fließend die Farbe von Weiß zu Grau zu Silber und schließlich zu Gold.

Nach dem Würfel erschienen Buchstaben. Bitte setze deine SmEars ein.

Taso hatte die zweite Klappe bereits geöffnet, nahm zwei wachsartige Stöpsel heraus und schob sie in die Ohren, wo sie sich sofort verkürzten und gleichzeitig so ausdehnten, dass sie seinen Gehörgang perfekt verschlossen.

Danke, dass du Smarts von YEE nutzt, die meistgetragenen SmEyes und SmEars der Welt , sagte eine Frauenstimme in seinen Ohren.

Im Randbereich seines Blickfelds erschienen die Icons zahlreicher Applikationen. Ein Newsfeed und ein Kalender bettelten wackelnd um Aufmerksamkeit, auf der anderen Seite blinkten die Absender und Betreffzeilen einiger E-Mails und einer Videonachricht. Von Tim war nichts dabei.

„Vision leeren“, sagte Taso und sah wieder nur den nackten Flur. Mit einem leichten Stechen im Bauch verließ er die Wohnung und zog die Tür hinter sich zu. Vor ihm erschien ein dreidimensionales Schlüsselsymbol in der Luft.

Die Tür verriegelt sich in drei Sekunden.

Er ging die Treppe hinunter und hörte den Schließmechanismus der Wohnungstür, bevor sich der Schlüssel vor ihm in einen grünen Haken verformte, der einen Augenblick später verschwand. Eine halbe Etage tiefer blieb er auf der untersten Treppenstufe stehen. Der Schritt auf die Straße kostete ihn jedes Mal Überwindung. Die Wohnung war seine Welt, draußen herrschte der Würfel. Der Würfel war überall: in Drohnen am Himmel, in Fahrzeugen auf der Straße, in den Smarts anderer Menschen, in Kameras, Mikrofonen und Sensoren an Kleidern, Körpern und Gebäuden. Er lauerte gierig, wartete auf Taso, auf einen Moment der Schwäche, eine unüberlegte Äußerung, eine unwillkürliche Geste, eine Gefühlsregung. Er war wach, wenn Taso müde war, war da, wenn Taso allein sein wollte. Er scherte sich nicht um Tasos Bemühungen, sich seinem bohrenden Blick und unerbittlichen Urteil zu entziehen.

Taso atmete noch einmal tief durch wie ein Schauspieler vor der Premiere, beschwor ein Lächeln herauf und trat durch die sich öffnende Haustür nach draußen.

Es war der erste Freitag im April, und schwere Wolken verdeckten den Himmel. Das Brummen unzähliger Propeller übertönte jedes Frühlingsgeräusch. Lieferdrohnen mit kleinen und großen Ladungen flogen geschäftig von hier nach dort. Über ihnen drehten Polizeidrohnen wie Adler ihre Kreise. Noch weiter oben schwebten dickbäuchige Mutterschiffe mit Tauschbatterien, betrieben von gewaltigen Solarsegeln.

Vor Taso rollte eine Herde selbstfahrender Autos lautlos die Straße entlang. Der Gehweg war verwaist. Er steckte die Hand in die Hosentasche und fühlte die Münze. Mit etwas ruhigerem Puls lief er los.

Über sich hörte er das Surren einer Drohne, die die schwarzen Fenster seiner Wohnung nach Nahrung absuchte, nach einem Loch im Dunkel. Sie fuhr einen Schaber aus und kratzte über das Glas – erfolglos, weil die Folie von innen aufgeklebt war – und zog wieder davon. Triumphierend sah Taso ihr nach.

Die Drohne schürfte für ihren Besitzer nach Daten. Der Würfel zahlte gut für frische Informationen. Für die Suche nutzten Datenschürfer Karten, auf denen weiße Flecken eingezeichnet waren – Orte, über die der Würfel keine, wenige oder veraltete Daten besaß.

Tasos Wohnung war ein solcher Fleck, sein weißer Fleck. Der Würfel hatte keine Ahnung, wie es darin aussah, ob es dreckig oder sauber war, wie oft er Zähne putzte, masturbierte oder aufs Klo ging, was er hörte, las oder sang, aß oder trank, sprach oder schrieb. Jede zu Hause verbrachte Stunde war ein bisschen Chaos, jede Minute ein Akt des Widerstands.

Taso reckte das Kinn und richtete seinen Blick wieder auf den Gehweg.

Soll ich dir gutes Wetter smalen? , fragte die Stimme in seinen Ohren.

Er holte die Münze aus der Hosentasche und wog sie in der Hand. Seit er denken konnte, hatte sie ihn fasziniert. Früher hatte sie seiner Großmutter gehört, die sie als Kind bekommen und als eine Art Glücksbringer bei sich getragen hatte. Jedes Mal, wenn Taso sie besuchte, wollte er die Münze sehen, mit ihr spielen, sie stundenlang mit sich herum tragen. Irgendwann begann seine Großmutter, sie für ihn zu werfen. Zeigte sie fünfmal hintereinander Zahl, dürfe er sie behalten, sagte sie. Als er fünfzehn war, gehörte sie ihm. Seit diesem Tag fühlte er bei jedem Verlassen des Hauses nach dem vertrauten Silberstück in seiner Hosentasche. Auch die Beerdigung seiner Großmutter vor einigen Jahren ertrug er nur, indem er die Münze fest in seiner Hand umschlossen hielt.

Er warf sie in die Luft. Zahl.

„Ja, smal mir gutes Wetter“, sagte er trocken. Im Zeitraffer wichen die Wolken strahlendem Sonnenschein. Die ganze Straße leuchtete auf, Autos und Häuser warfen Schatten, und er spürte beinahe die Sonne auf der Haut – wäre da nicht der feucht-kühle Wind gewesen, der ihm um die Ohren fegte. Ein paar Cent pro Stunde würde ihn dieses absurde Wetter-Feature jetzt kosten.

Wohin möchtest du?

Taso befragte wieder die Münze – Kopf – und schwieg. Als er die Straße überquerte, hielten die Sefas automatisch, Ampeln gab es schon lange nicht mehr. Seinen Weg begleiteten virtuelle Werbeplakate, mal erschienen sie auf dem Boden, mal vor ihm in der Luft. Er verdiente zu seinem Grundeinkommen kaum etwas hinzu, weshalb er den Werbeblocker nur selten einsetzte. Die Angebote waren bunt gemischt und unspektakulär: keine Reisen ins All oder per Überschall nach Afrika, kein Loft mit Blick auf den Fernsehturm am Alex, kein eigenes Sefa, sondern Werbung für einen Offlinerintegrationskurs, für eine neue Generation günstigen Fleischersatzes und für ein Augmented-Reality-Spiel, in dem man sich den Weg zur Arbeit mit einem Lichtschwert freikämpfen musste. Der Chefentwickler schwor, dass das Spiel Tasos Lust auf die Arbeit um zehn Prozent steigern würde.

Nichts davon interessierte ihn auch nur im Geringsten. Aber er genoss die kläglichen Versuche des Würfels, seinen Geschmack zu erraten. Denn sie zeigten, dass seine Mühe nicht umsonst war und er dem Würfel ein Rätsel blieb – so, wie es sich für einen routinierten Gaukler gehörte. Taso vereinbarte seinen x-ten Termin für einen Integrationskurs, den er nie besuchen würde, bestellte etwas Kunstfleisch und trug für Montag in den Kalender ein, auf dem Weg zur Arbeit das dämliche Jedi-Spiel auszuprobieren. Plötzlich brauste ein Polizei-Sefa an ihm vorbei und hielt ein paar Meter vor ihm am Straßenrand. Er verkniff sich ein Seufzen.

Kapitel 2

Lustlos stand Taso vor dem Haus seines Bruders. Die vom Regen nasse Jeansjacke klebte an seinen Armen, obwohl der gesmalte Himmel noch immer wolkenlos war. Er prüfte seine E-Mails. Wieder nichts von Tim. Zögernd näherte er sich der Haustür, die sich sofort automatisch entriegelte.

Peter und seine Familie bewohnten das Dachgeschoss des Altbaus. Wie fast jedes Mal zwang Tasos Münze ihn, die Treppe zu nehmen. Er fluchte innerlich.

Fünf Stockwerke später stand er schnaufend vor der angelehnten Wohnungstür und lauschte dem Stimmengewirr dahinter. Beschämt sah er an sich herunter. Wenn er doch wenigstens nicht die Schlaghose gewürfelt hätte! Er fühlte sich wie ein Schüler, der gleich vor seine neue Klasse treten musste, wollte kehrtmachen und nie wiederkommen.

Du betrittst eine Privatveranstaltung. Andere Besucher sehen dein öffentliches Profil. Konversationshilfe aktivieren?

„Nein“, sagte Taso und trat ein. Prompt hörte er durch seine SmEars sanfte Musik.

Er war fast zwei Stunden zu spät. Überall standen ihm unbekannte Menschen. Kühle Luft zog von der West- zur Ostterrasse, verteilte den Duft frischer Häppchen und das Parfüm herausgeputzter Gäste. Taso konnte sich nicht erinnern, je selbst eine so große Party geschmissen zu haben. Zwei Frauen in seiner Nähe lachten laut. Ihre Figuren und Frisuren sahen makellos aus, die Sliftings mussten ein Vermögen kosten. Eine trug ein Kleid aus Schlangenhaut, die andere strahlte ganz in Weiß; die Farben ihrer Cocktails waren perfekt auf ihre Erscheinungen abgestimmt. Im Wohnzimmer saß eine Gruppe Männer mit aufgerissenen Augen nebeneinander auf der Sofakante. Einer packte grob den Unterarm seines Nachbarn, ein anderer schlug sich fluchend auf den Oberschenkel, während ein dritter genüsslich grinsend die Arme in die Luft reckte.

Vermutlich hatten sie ihre Smarts für ein Spiel verbunden. Ein Kreischen ertönte, und an Taso rannte erst ein kleines Mädchen, dann ein kleiner Junge vorbei, beide in Ghostbusterskostümen und offenbar auf der Jagd nach etwas, das ihre SmEyes anzeigten. Auf die Wände waren aufwendige Kunstwerke gesmalt, die sich um Balken, Ecken und Kanten herumschlängelten und mit wechselnden Farben im Rhythmus der Musik pulsierten, dazwischen erschien immer wieder eine 28.

Ihre Gastgeber-App musste Roya über Tasos Ankunft informiert haben, schon nach wenigen Sekunden drückte ihn seine Schwägerin an sich. Sie trug ein dunkelgrünes Kleid, das sich spiralförmig um ihren Körper wand und schmale Streifen nackter Haut zeigte, ihre dunklen Locken fielen frei über die Schultern. Sie wirkte ausgelassen und beschwipst.

„Alles Gute zum 28.!“, rief sie mit der warmen Stimme, die er so mochte. „Wie schön, dass du da bist! Konntest du nicht früher?“

Während sie seine Jacke aufhängte, erklärte sich Taso mit einem Bericht vom Umweg über das Polizeirevier.

„Meine Güte, haben die nichts Besseres zu tun?“, sagte Roya und schüttelte den Kopf. Taso zuckte nur mit den Achseln und zeigte auf die bunten Wände. „Hast du das selbst gesmalt?“

Roya lachte. „Schön wärs – sieht klasse aus, oder? Das war eine unserer Proxistinnen.“ Sie zeigte auf eine junge Frau, die an der gegenüberliegenden Wand stand und sich mit zwei älteren Männern unterhielt. Sie trug einen engen Einteiler, der aus diversen hellen Stofffetzen zusammengenäht war und einen tiefen Ausschnitt hatte.

„Pass auf, wo du hinguckst“, hörte er Roya sagen, aber sein Blick hatte offenbar schon zu lange an der falschen Stelle verweilt: Vor seinen Augen sank der Ausschnitt des Kleids, bis die Karikatur einer weiblichen Brust hervorsprang, völlig deformiert und bläulich angelaufen. Die junge Frau drehte sich zu ihm und grinste schelmisch. Roya lachte, während Taso sich peinlich berührt abwandte.

„Zugegeben, sie ist etwas speziell. Aber ich bin noch nie einer schnelleren Proxistin begegnet. Die Wände hatte sie in zwei Stunden fertig. Unglaublich!“

Wenn er Roya jetzt nicht in eine andere Richtung lenkte, würde sie stundenlang über die Eleganz von Codezeilen sprechen, über die virtuelle Tastatur als neue Farbpalette und die Eroberung der Kunst durch die Informatik oder der Informatik durch die Kunst, denn Roya war Kuratorin im Museum für „Art by Proxy“. Taso war kein großer Bewunderer dieser Kunstform, in der Computerprogramme Bilder, Filme oder Installationen generierten und Künstler nur noch durch die Veränderung von Codezeilen Einfluss nahmen, nickte Roya aber anerkennend zu.

„Alles Gute zum Geburtstag, Brüderchen!“, rief eine vertraute Stimme hinter ihm. Taso fuhr herum. Ein etwas aufdringlicher Herrenduft und ein Hauch Alkohol streiften seine Nase. Peters Anblick erinnerte ihn immer daran, wie gut auch er aussehen könnte, wenn er sich nur modisch kleiden und ein wenig sliften würde. Peters perfekt sitzende Bluejeans passte hervorragend zu dem anthrazitfarbenen Hemd, dessen Ärmel er lässig umgeschlagen hatte, sodass man das rot gepunktete Innenfutter sah. Er hatte seine Figur sportlicher gesliftet, auch seine kurzen dunklen Haare wirkten voller als in Wirklichkeit, nur das Gesicht war unverändert. In gleicher Kleidung und ohne Slifting sähen sich die beiden so ähnlich, dass man sie nur an der Haarlänge unterscheiden könnte.

„Dir auch“, sagte Taso, und sie umarmten sich – wie immer eine Sekunde länger und ein Newton kräftiger als zwischen Brüdern üblich. Und wie jedes Mal blitzte in Tasos Kopf die Erinnerung daran auf, wie ihre Mutter sie an ihrem sechsten Geburtstag aufgefordert hatte, sich mit einer Umarmung gegenseitig zu gratulieren. Er hatte es erst komisch gefunden, aber das Wohlgefühl, das ihn damals ergriffen hatte, die Wärme und Vertrautheit, überwältigten ihn noch heute bei jeder Umarmung seines Bruders, ganz gleich wie sie gerade zueinander standen.

Sie lösten sich voneinander. Das Gefühl verschwand.

„Welch eine Ehre“, spottete Peter. „Passiert ja nicht jeden Tag, dass ein waschechter Staatsfeind zu Besuch kommt!“ Taso erwiderte nichts, woraufhin Peter ihm lachend auf die Schulter klopfte. Roya sah ihren Mann vorwurfsvoll an und wandte sich anderen Gästen zu.

Taso konnte nicht behaupten, dass ihm Peters Kommentare nichts ausmachten, aber er hatte sich damit längst abgefunden. Er zog das kugelförmige Päckchen aus der Hosentasche und reichte es Peter, der ihn irritiert ansah. „Wir schenken uns doch nichts.“

Taso zuckte mit den Schultern. Sein Bruder löste die Schleife und packte einen roten Ball aus, dessen Hälften er so gegeneinander verschob, dass sie sich öffneten. Aus der unteren Ballhälfte nahm er einen kleinen Würfel, der auf drei Seiten schwarz schimmerte, auf den drei anderen weiß.

Peter wendete ihn in den Fingern und strich über die harten Kanten und die seidenweichen Oberflächen. Taso freute sich, dass sein Bruder zumindest für einen Moment fasziniert war. Ob er an ihre alte Würfelsammlung zurückdachte? Plötzlich verhärtete sich Peters Blick, und er steckte den Würfel in die Hosentasche.

„Danke“, murmelte er und sah Taso flüchtig an. Für einen Moment standen sie wortlos voreinander. Taso hätte Peter gern erzählt, dass der Würfel über hundert Jahre alt war, zu einem chinesischen Glücksspiel gehörte und einem früheren Eigentümer ein Vermögen beschert hatte. Stattdessen wechselte er zum erstbesten Standardthema. „Wie läufts bei der Arbeit?“

„Alles wie immer.“

„Ihr habt da was Neues entwickelt – Crazindi oder so? Hat mir eure App neulich empfohlen.“

„Ja, genau.“

Peter sprach nicht gern über seine Arbeit. Seine Programmiererei sei geheim, hatte er mal gesagt. Taso wusste nur, dass sein Bruder Storytelling-Algorithmen für ein Unternehmen schrieb, das individuelle Filme produzierte. Der größte Teil der Unterhaltungsindustrie bestand mittlerweile aus Filmen, Serien, Büchern, Musik oder Spielen des Indi-Genres. Peters Algorithmen erfanden spontan Geschichten – spannende, lustige, romantische, fantastische -, die weitere Algorithmen dann über die Smarts der Konsumenten sofort zum Leben erweckten.

Fotorealistisch animiert entsprachen sie ganz der Vorliebe und Stimmung der Nutzer. Die Figuren glichen meist einst beliebten Schauspielern, um den Simulationen die Illusion echter Filme zu verleihen. So konnte jeder stets genau das sehen, hören, lesen, spielen, wonach ihm der Sinn stand, ohne selbst auswählen zu müssen. Auch Taso konsumierte Indi-Unterhaltung. Es war eine nervtötende, aber einfache Methode, den Würfel mit falschem Feedback über den eigenen Geschmack zu täuschen.

Taso blieb hartnäckig. „Crazindi – das sind Indi-Filme mit Logikfehlern, oder?“ Peter deutete ein Nicken an. „Aber werbt ihr nicht mit Storys ohne Logikfehler?“

Peter zögerte einen Moment. „Natürlich sind logische Storys unsere größte Leistung. Aber das hat Indi-Filme auch stark eingeschränkt: Lässt man Logikfehler zu, kann man viel verrücktere Geschichten erzählen. Viele mögen das.“

Taso grinste. „Könnten dann nicht einfach wieder Menschen Filme machen?“

Peter winkte ab. „Viel zu teuer. Aber wie läufts bei dir denn so?“

Bevor Taso antworten konnte, kamen Yasin und Lisa auf ihn zugestürmt. Sein Neffe und seine Nichte trugen Piratenkostüme mit sperrigen Hüten und Augenklappen und grinsten über das ganze Gesicht. Der sechsjährige Yasin baute sich stramm wie ein Soldat vor Taso auf und rief viel zu laut: „Guten Tag, der Herr!“ Er hatte die dunklen Locken seiner Mutter, die ungebändigt unter seinem Hut hervorsprangen.

„Guten Tag, Herr Ponykuchen!“, antwortete Taso mit tiefer Stimme. Yasin kniff die Augen zusammen und kicherte. Taso begrüßte die beiden stets mit wechselnden Fantasienamen, eines der wenigen öffentlichen Rituale, die er sich gönnte.

Lisa versuchte die Haltung ihres drei Jahre älteren Bruders zu imitieren. Mit ihrer Stupsnase und den riesigen schwarzen Augen sah sie noch niedlicher aus als er. „Guten Tag, der Herr!“

„Guten Tag, Frau Dackeltorte!“, antwortete Taso. Beide Kinder prusteten los und umarmten ihn. Taso liebte die kindliche Freude und Unbeschwertheit der beiden, auch wenn er sie nie wirklich teilen konnte. Warum auch sie ihn so mochten, konnte er sich nicht erklären: Er begegnete ihnen meist kühl und distanziert, hatte wenig Verständnis für ihre digitalen Spiele, und reich beschenken konnte er sie auch nicht. Disziplinierter Gaukler, der er war, blickte er immer ungerührt drein, wenn sie ihn anlächelten. Vielleicht genügten aber seine Begrüßungen und die darauffolgenden festen Umarmungen, um ihnen seine wahren Gefühle zu vermitteln.

Als er sich wieder aufrichtete, zogen die Kinder weiter. Peter war bereits in ein Gespräch mit drei Unbekannten verwickelt. Tasos SmEyes zeigten neben ihren Köpfen in kleinen Blasen ihre öffentlichen Profile an, aber statt sie zu lesen, folgte er seinem Hunger in die Küche. Auf großen Platten mit Holzoptik lagen unzählige Häppchen, eins verlockender als das andere. Er war allein und wusste, dass hier keine Kameras hingen. Er schloss die Augen, beugte sich über die verschiedenen Platten und roch ausgiebig an dem karamellisierten Kunsthuhn mit Mandeln, dem Krabbencocktail mit gehäuteten Mandarinenstückchen und dem Linsensalat mit Minze und Basilikum.

Selbst mit verdeckten SmEyes könnte er keines der leckeren Häppchen essen, ohne dass der Würfel es erführe. Der letzte Besucher der Küche hatte das Essen sicher gesehen, auch der nächste würde SmEyes tragen, sodass der Würfel Taso jedes fehlende Gramm zuordnen könnte. Er öffnete die Augen, nahm sich schweren Herzens nur eins der Gläschen mit dem Krabbencocktail, legte sich zwei Blätterteigküchlein mit Fenchel auf einen Teller – er hasste Fenchel – und ging ins Wohnzimmer.

Betont genüsslich kaute er auf dem scheußlichen Gemüse herum und suchte nach vertrauten Gesichtern. Auf der anderen Seite des Zimmers erkannte er drei Männer, die er vor einiger Zeit als Peters Studienfreunde kennengelernt hatte. Kollegen seines Bruders schienen keine da zu sein, wie schon im letzten Jahr. Peter hatte offenbar wenig Kontakt, wenn er im stillen Kämmerlein seine ach so geheimen Codes schrieb.

Von der Terrasse hörte Taso das Maschinengewehrlachen seines ehemaligen Schulfreundes Luke herüberschallen. Wahrscheinlich stand er mit seiner mausgesichtigen Frau Vanessa zusammen, umringt von irgendwelchen Langweilern, und gab peinliche Heldengeschichten zum Besten, während er sich ein Bier nach dem anderen in den Rachen kippte. Dass Peter immer noch mit ihm befreundet war, wollte Taso nicht in den Kopf. Er selbst hatte vor genau einem Jahr das letzte Mal mit Luke gesprochen und auf Lebzeiten keinen Bedarf an einer Fortsetzung.

„Na?“, hatte Luke damals gesagt und seinen schweren Arm um Tasos Schulter gelegt. „Noch immer offline?“ Mit breitem Grinsen hatte er sich seiner Frau zugewandt. „Taso gaukelt, hat einen niedrigeren Predictability-Score als mein Opa!“ Er lachte laut auf, und Taso stimmte mit ein, versuchte dabei, die Tonlage zwischen aufrichtig und zynisch schwanken zu lassen.

Luke steckte sich ein Lachsschnittchen in den Mund und nuschelte: „Und lebt von unseren Daten.“

Das hatten Taso schon viele Menschen vorgeworfen. Es fiel ihm deshalb nicht schwer, ausgiebig zu lächeln, als hätte Luke ihm ein Kompliment gemacht. „So sehe ich das nicht“, sagte er ruhig.

„Du bekommst doch ein Grundeinkommen, oder? Ohne unsere Daten könnte der Würfel Angebot und Nachfrage nicht mehr steuern und keine Grundeinkommen erwirtschaften – und wir würden Arbeitszeit und Ressourcen verschwenden.“

Seine unreflektierte Wiedergabe von Würfelpropaganda klang wie von der Konvohilfe abgelesen. Aber so einfach ließ sich Taso nicht provozieren. „Wir könnten auch so genug erwirtschaften, um gut zu leben, das hat früher ja auch geklappt.“

„Weil es da noch genug Arbeit gab!“, sagte Luke und wischte sich über den Mund.

„Gäbe es immer noch, wenn nicht immer alles so ultraeffizient sein müsste.“

Luke nahm ein weiteres Kanapee vom Büfett. Er hielt seiner Frau eine grün-grau bestrichene Weißbrotscheibe hin, sie schüttelte den Kopf. „Also ich habe jedenfalls keine Lust, länger zu arbeiten, nur damit Leute wie du …“ Der Rest des Satzes verschwand in Kaugeräuschen.

Taso hatte sich wortlos selbst etwas zu essen genommen und war aus der Küche gegangen.

Soll ich dir alle Personen anzeigen, die du kennst? Taso aß die letzte Ecke Blätterteig und nickte. Seine SmEyes markierten neben den bereits gesichteten sechs weitere Personen. Er las in den angezeigten Profilen, wer sie waren und woher er sie kannte: Drei Kolleginnen von Roya waren darunter, eine weitere Kommilitonin von Peter und ein mit beiden befreundetes Paar, mit dem er offenbar auf der letzten Geburtstagsfeier ein paar Floskeln ausgetauscht hatte.

Keiner von ihnen würde sich gern mit ihm unterhalten.

Das war nicht immer so gewesen. Vor dem Referendum hatten Freunde und Bekannte seine Einstellung zum Datenschutz noch toleriert, ja sogar respektiert. Es hatte als angesagt gegolten, einen Totalverweigerer wie ihn auf Partys einzuladen. Mit der Zeit sahen sie ihn aber immer kritischer. Als er nach dem Referendum zu gaukeln begann, verdorrte sein Sozialleben rasch. Die Freundschafts-Apps der Kubisten errechneten geringe Chancen auf nachhaltige Beziehungen zu ihm, weil sie zu wenig Daten über ihn hatten. Kaum einer wollte bei ihren Treffen noch seine Smarts herausnehmen, weil es ihnen zu umständlich war und ihre Pred-Scores reduzierte. Außerdem belohnte der Würfel immer stärker den Kontakt zu Menschen, die einen hohen Score hatten, und zog Punkte ab, wenn man Gaukler und damit Chaos in sein Leben ließ. Wer dennoch zu ihm hielt, wurde von den anderen so lange mit Misstrauen und Unverständnis gestraft, bis auch er nachgab und den Kontakt zu Taso abbrach. So hatte er einen Freund nach dem anderen verloren, bis niemand mehr übrig geblieben war. Außer Tim.

Auch Fremde sprachen nicht gerne mit Taso. Ihre Konvohilfen warnten, dass sie wegen seines niedrigen Pred-Scores keine Gesprächsthemen empfehlen könnten. Die meisten suchten dann das Weite, denn wer hatte schon Lust auf steifen Small Talk, selbst erfundene Witze oder unangenehme Gesprächspausen, wenn er sich mit anderen sofort über per Konvohilfe eingeblendete Gemeinsamkeiten unterhalten konnte? Früher hatte Taso sich eingeredet, dass ihm all das nichts ausmache, dass es ein Opfer sei, das er zu bringen bereit war. Er hatte sich durch seine Gaukelei stark und unabhängig, im Grunde auch überlegen gefühlt. Aber inzwischen war sein selbstbewusster Auftritt nur noch Fassade. Wenn er in seiner oft lachhaften Kleidungskombination inmitten erfolgreicher, geslifteter Rhetorikgenies stand, die mit ihm höchstens über den täuschend echten Geschmack ihres Kunsthähnchenspießes oder die eindrücklichen Farben der Wandinstallationen sprechen konnten, wollte er allem am liebsten den Rücken kehren, um zurück in seiner Wohnung seine Smarts herauszureißen und laut in ein Kissen zu schreien. Er wollte schon gar keine neuen Menschen mehr kennenlernen. Früher hatte er in Windeseile Bande zu anderen geknüpft und sogar Spaß daran gehabt, aber nun machte ihn jede Kontaktaufnahme nervös. Er hatte Angst, dass seine Themen nicht spannend genug waren, seine Witze nicht lustig oder seine Äußerungen deplatziert. Und seit einer Weile bohrte sich eine Frage immer tiefer in seinen Kopf: Wie wäre es wohl, wieder dazuzugehören? Wieder unbeschwert mit seinen alten Freunden reden und lachen zu können, wieder gerne auf ihre Partys zu gehen und vor allem, dazu eingeladen zu werden?

Zugleich schämte er sich für solche Gedanken. Er hatte sich nicht ohne Grund für dieses Leben, für ein selbstbestimmtes Leben entschieden. Er wollte dazugehören, ja – aber auf keinen Fall wollte er nachgeben und so berechenbar und fremdgesteuert werden wie die anderen. Außerdem war er mit seinen Überzeugungen nicht allein.

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Was vom Tage übrig blieb: Klimaleugner, Trolle und radikale Transformationen

Nicht, dass wir uns den dunklen Winterhimmel zurückwünschen würden. Aber langsam scheint die immer stärker werdende Sonne unsere uralte Handy-Kamera zu überfordern.The left needs to get radical on big tech – moderate solutions won’t cut it (The Guardian)

Der bekannte Aktivist und Technologie-Vordenker Evgeny Morozov beklagt in einem Gastbeitrag für den Guardian, dass die Linke in Europa und den USA keine ausreichend weitgehenden Lösungen für den Umgang mit den großen Tech-Konzernen vorschlägt. Statt moderater Ideen für eine Reform von Google, Facebook und Co. fordert Morozov eine „radikale demokratische Transformation“.

Deutschland stellt sich gegen besseren Whistleblower-Schutz in EU (Der Standard)

Hürden für die Aufdecker von Cambridge Analytica bis LuxLeaks: Das Justizministerium von Katarina Barley (SPD) will verhindern, dass sich Hinweisgeber künftig direkt an die Behörden wenden können und dabei rechtlichen Schutz genießen. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Barley gegen stärkeren Schutz für Whistleblower richtet. Deutschland tritt damit im Rat gegen Vorschläge auf, die Sozialdemokraten im Parlament ausgearbeitet haben.

Convenient Truths – Mapping climate agendas of right-wing populist parties in Europe (adelphi)

Tauchen immer mehr Klimaleugner in sozialen Netzwerken auf, brauchen wir uns darüber wohl nicht zu wundern. Gefüttert werden umweltfeindliche Einstellungen von rechten Parteien in ganz Europa, darunter auch von der AfD, wie ein neuer Bericht (pdf ) des Berliner Thinktanks adelphi nachzeichnet.

U.S. Cyber Command operation disrupted Internet access of Russian troll factory on day of 2018 midterms (Washington Post)

Letztes Jahr hatte das US-Militär neue Befugnisse für den Cyberspace erhalten und sie am Tag der Kongresswahlen im Herbst erstmals eingesetzt, berichtet die Washington Post unter Berufung auf anonyme Quellen. Gemeinsam mit dem Geheimdienst NSA habe das U.S. Cyber Command die berühmt-berüchtigte russische Trollfarm „Internet Research Agency“ in Sankt Petersburg vom Internet abgeschnitten, um Manipulationen der Zwischenwahlen zu verhindern.

Drowned out by the algorithm: Vaccination advocates struggle to be heard online (NBC News)

In der guten alten Zeit™ konnten sich US-amerikanische Pro-Impfungs-NGOs wichtigen Sachen widmen: Sie halfen etwa finanzschwachen Eltern dabei, ihren Kindern einen Impfschutz zu verpassen. Oder sie zeigten Ärzten, wo es Barrieren im Zugang zu moderner Medizin gab. Mittlerweile befinden sich diese Gruppen jedoch in einem stetigen Abwehrkampf – mit Impfgegnern und dem Empfehlungsalgorithmus von Youtube, der die gefährliche Desinformation nur allzu gerne weiterverbreitet. Bereits 2008 sah sich beispielsweise die größte solcher NGOs, Vaccinate Your Family, dazu gezwungen, keine Youtube-Videos mehr zu posten, weil die Plattform neben den seriösen Videos der Gruppe durchgeknallte Anti-Impf-Propaganda empfahl. Eine schnelle Stichprobe in der Redaktion ergab, dass der Suchbegriff „Impfung“ eine Reihe an äußerst fragwürdigen Videos mit einladenden Titels wie „‚Impfen ist BETRUG!!!!‘ [ARMES DEUTSCHLAND]“ ausspuckt. Aber wer weiß – da wir auf solche Titel nicht klicken, versteckt sich dahinter ja vielleicht doch ein ganz toller Beitrag (glauben wir nicht).

Jeden Tag bleiben im Chat der Redaktion zahlreiche Links und Themen liegen. Doch die sind viel zu spannend, um sie nicht zu teilen. Deswegen gibt es jetzt die Rubrik „Was vom Tage übrig blieb “, in der die Redakteurinnen und Redakteure gemeinschaftlich solche Links kuratieren und sie unter der Woche um 18 Uhr samt einem aktuellen Ausblick aus unserem Büro veröffentlichen. Wir freuen uns über weitere spannende Links und kurze Beschreibungen der verlinkten Inhalte, die ihr unter dieser Sammlung ergänzen könnt.

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UN-Berichterstatterin warnt vor umstrittenem EU-Gesetz gegen Terrorpropaganda

UN-Sonderberichterstatterin Fionnuala Ni Aolain CC-BY-NC-ND 2.0 UN Geneva Eine führende UN-Menschenrechtlerin warnt vor einem Gesetzesentwurf der Europäischen Union, der Plattformen die Löschung von angeblicher Terror-Propaganda binnen einer Stunde vorschreibt. Die Sonderberichterstatterin für den Schutz der Menschenrechte bei Terrorismusbekämpfung, Fionnuala Ní Aoláin, erläuterte heute in Brüssel ihre starken Bedenken gegen die allzu vage Definition von „Terror-Propaganda“ im Vorschlag der EU-Kommission – und seine wohl drastischen Folgen für die Meinungsfreiheit. Die EU schaffe damit ein schlechtes Vorbild für den Rest der Welt. Ní Aoláin und zwei weitere UN-Sonderberichterstatter hatten ihre Kritik zuletzt in einem gemeinsamen Bericht formuliert.

Die EU-Kommission hatte im September einen Vorschlag zur Bekämpfung von Terrorpropaganda im Netz vorgelegt. Der Entwurf sorgte für einen Aufschrei unter Menschenrechtlern und Netzaktivisten : Sie fürchten die Schaffung einer Infrastruktur für Überwachung und Zensur durch das EU-Gesetz. Es schreibt Plattformen wie Facebook oder Youtube, aber auch der Wikipedia oder kleineren Blogs wie netzpolitik.org vor, von Nutzern hinterlassene „terroristische Inhalte“ nach Aufforderung durch Behörden zu entfernen – in einigen Fällen binnen 60 Minuten.

Breite Definition, neue Polizeimacht

„Wir sind tief besorgt wegen der übermäßig breiten Definition von terroristischen Inhalten“, sagte die UN-Berichterstatterin bei einer von den Digital-NGOs European Digital Rights und Access Now organisierten Debatte mit der Kommission im EU-Parlament. Im Entwurf seien nach Artikel 2 (5) selbst Inhalte zu ahnden, die als Anstiftung zu terroristischen Handlungen verstanden werden könnten – damit seien unter gewissen Umständen selbst Formen explizit von Grundrechten geschützter Rede bedroht, etwa journalistische Berichte über Terroristen. Der Passus verweise nicht etwa auf bestehende nationale Gesetze, sondern schaffe eine neue, äußerst breit gefasste Definition von Terrorismus.

Die irische Juristin Ní Aoláin hält überdies den durch das Gesetz geschaffenen Prozess für bedenklich. Artikel 4 des Gesetzesvorschlags mache nationale Behörden für das Melden von Inhalten verantwortlich. Auf solche „Entfernungsanordnungen“ müssen Diensteanbieter innerhalb einer Stunde verbindlich reagieren. Aber dieser Zwangsmaßnahme fehle jegliche unabhängige richterliche Kontrolle, sagte Ní Aoláin. Das sei besonders in EU-Staaten wie Ungarn und Polen bedenklich, wo der Rechtsstaat zunehmend geschwächt werde, fügte Fanny Hidvegi von Access Now hinzu. Ní Aoláin wies darauf hin, dass die Lösch-Aufforderungen besonders an kleine und mittelgroße Betreiber von Plattformen unverhältnismäßige Anforderungen stelle. Die äußerst kurzen Fristen machten für kleine Betreiber eine Prüfung schwer. In der Praxis werde das dazu führen, dass Inhalte einfach gelöscht würden, statt sie zu prüfen und im Zweifel vor Gericht zu verteidigen.

„Menschenrechte nicht dem Zufall überlassen“

Einen starken Einwand formulierte die UN-Berichterstatterin auch gegen den Einsatz von automatisierten Systemen. Sie sei besorgt über Fehlerraten solcher Systeme. In von (angeblicher) Künstlicher Intelligenz gesteuerter Software müsse Respekt für die Menschenrechte von vornherein eingebaut sein, sagte Ní Aoláin. „Das kann man nicht dem Zufall überlassen, das muss man durch Regulierung lösen.“

Eine Vertreterin der Wikimedia-Stiftung, Anna Mazgal, erinnerte an haarsträubende Fehler ähnlicher Software. „Solche Algorithmen haben Gesichter von Schwarzen als Gorillas gekennzeichnet. Wir überlassen solchen Maschinen die Aufgabe, terroristische Inhalte zu finden.“

Der Kommissionsbeamte Hans Das vom Generaldirektorat für Migration und Inneres wischte die Einwände beiseite. Eine engere Definition von Terrorismus behinderte die Behörden nur dabei, eindeutig terroristische Inhalte zu entfernen. „Es würde uns behindern, wenn wir bei jedem Video von Daesh eine kriminelle Absicht beweisen müssten“, sagte Das. Durch das Gesetz verurteile man ja keine Menschen, sondern entferne lediglich Inhalte. „Es ist nur eine Frage davon, einen Knopf zu drücken und einen Inhalt zu entfernen.“

EU-Parlament entscheidend

Die Kommission wie auch die EU-Mitgliedstaaten zeigen sich wenig sensibel für die Einwände der Menschenrechtler. Werden sie wenigstens von den direkt gewählten Politikerinnen und Politikern gehört? Noch ist unklar, wie sich das EU-Parlament positioniert . Nur ein mutiges Eintreten für Menschenrechte durch die Abgeordneten kann den Vorschlag in entscheidenden Punkten entschärfen.

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Von Wikimedia zu Wikipedia? Foundation hinter Wikipedia diskutiert neue Markenstrategie

Die verschiedenen Wikimedia-Projekte sollen künftig unter der gemeinsamen Dachmarke Wikipedia versammelt werden. (Screenshot, 27.02.2019)Wikipedia zählt zu den bekanntesten und wertvollsten gemeinnützigen Marken im Internet. Einer Branding-Studie im Auftrag der Wikimedia Foundation zu Folge ist Wikipedia mehr als 80 Prozent aller Internetnutzer in Nordamerika und Westeuropa ein Begriff. Ganz anders verhält es sich mit der Marke Wikimedia, die eigentlich als Dachmarke für die verschiedenen Projekte wie das Wörterbuch Wiktionary , den Reiseführer Wikivoyage oder das Medienarchiv Wikimedia Commons fungieren soll. Sie wird, derselben Studie zu Folge, regelmäßig mit der Wikipedia verwechselt oder missverstanden.

Auf Basis dieser Ergebnisse hat die Wikimedia Foundation nun einen Vorschlag zu einem Re-Branding der Wikimedia und ihrer Teilprojekte vorgelegt. Zukünftig soll demnach Wikipedia als Dachmarke dienen und alle Teilprojekte sollen derselben Wiki-Namenslogik folgen. Das bedeutet, dass zum Beispiel Wikimedia Commons zu „Wikicommons“ umbenannt werden würde. Die einzelnen Teilprojekte könnten außerdem mit dem Zusatz „ein Wikipedia-Projekt“ versehen werden, um die Zugehörigkeit zur Wikipedia-Familie zu signalisieren.

Die Wikimedia Foundation erklärt die vorgeschlagenen Änderungen mit animated GIFs wie diesem hier. CC-BY-SA 4.0 Wikimedia Foundation

Hoffnung auf mehr Beteiligung bei Schwesterprojekten

Im Ergebnis sollte also ein Markenauftritt stehen, der die Dominanz der Marke Wikipedia anerkennt und für die viel weniger prominenten Schwesterprojekte besser nutzbar macht. So ist mit der neuen Markenstrategie die Hoffnung verknüpft, die Beteiligung in den kleineren Projekten zu steigern.

Bevor die neue Markenstrategie aber implementiert wird, sollen zunächst die Communities der betroffenen Projekte ihre Meinung äußern können. Zu diesem Zweck stehen die Unterlagen und eine FAQ zur neuen Markenstrategie online zur Diskussion . Die endgültige Enscheidung soll im Mai 2019 fallen.

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Was vom Tage übrig blieb: Schweinekrankheiten, Impfgegner und verseuchte Tablets

Heute liefert der Berliner Himmel ein volles Programm ab. Einzig eine Riesenwolke, die wie ein Elefant aussieht, fehlt.China’s Tech Firms Are Mapping Pig Faces (New York Times)

Klingt fast wie ein Aprilscherz, aber dafür ist es noch zu früh. Chinesische Firmen arbeiten an Gesichts- und Stimmerkennung für Schweine. Der Grund: Krankheiten bedrohen die Tiere und man erhofft sich, durch die Technologie kranke Tiere einfacher erkennen und wiederfinden zu können.

YouTube geht gegen Impfgegner vor (Spiegel Online)

Einen Monat nach der Ankündigung, keine Verschwörungsvideos mehr vorschlagen zu werden , kommt die nächste Ansage von YouTube: Seit Freitag schaltet die Google-Tochter keine Werbung mehr vor Videos, die nachweislich falsche Informationen über das Impfen verbreiten. „Jede Falschinformation über medizinische Themen ist bedenklich,“ zitiert die BBC aus einem Statement des Unternehmens. Die Entscheidung erfolgte allerdings nicht aus eigener Einsicht, sondern erst nachdem andere Firmen Druck machten: Sie wollten ihre Spots nicht mehr vor impfkritischen Videos sehen.

The trauma floor: The secret lives of Facebook moderators in America (The Verge)

Wo wir schon bei durchgeknallten Glaubenssystemen sind: Inhaltemoderatoren, die für Anbieter wie Facebook den ganzen lieben Tag Verschwörungstheorien, Enthauptungsvideos oder einfach nur allgegenwärtiger Hassrede ausgesetzt sind, kommen oft nicht unbeschadet davon. The Verge hat mit einem Dutzend gegenwärtiger und ehemaliger Mitarbeiter des Dienstleisters Cognizant im US-amerikanischen Arizona gesprochen. Viele davon sind traumatisiert, glauben inzwischen selbst an Theorien wie die der Flachen Erde oder halten den Job nicht ohne Drogen aus. Wer nicht den ganzen Longread lesen möchte, findet die wichtigsten Erkenntnisse der Recherche hier in einem Twitter-Thread verpackt.

Bundesamt warnt vor bestimmten Tablets und Smartphones (Spiegel Online)

Auf einem neuen, online bestellten Tablet hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik vorinstallierte Schadsoftware gefunden . Da sie in der Firmware des Geräts verankert war, konnte sie auch nicht von Hand entfernt werden.

Polizeiskandal in Frankfurt: Konsequenzen aus dem Nazi-Skandal (Frankfurter Rundschau)

Eine Frankfurter Anwältin hatte Faxe mit Drohungen bekommen, die mit „NSU 2.0“ unterzeichnet waren. Es stellte sich heraus, dass kurz zuvor von einem Polizeirechner Daten über sie abgefragt wurden – eine Verbindung liegt nahe. Der Polizeipräsident hat nun Maßnahmen angekündigt, die solche Fälle in Zukunft verhindern sollen. So sollen etwa Datenabfragen stärker kontrolliert werden.

4.800 Reviews: Dieser Mann ist einer der aktivsten IMDb-Kritiker Deutschlands (Motherboard)

Johannes Drosdowski hat mit einem der aktivsten deutschen IMDb-Bewerter geredet. Er arbeitet selbst im Kino und verfasst manchmal sogar sechs Filmkritiken am Tag. Der Power-User verrät, welcher Film ihn zum weinen gebracht hat und wie viel Zeit er mit seinem Hobby verbringt.

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Oberster Datenschützer warnt vor Uploadfiltern

Schematische Darstellung eines Uploadfilters aus Alexander Lehmanns Film “Uploadfilter Erklärt” CC-BY-SA 4.0 Alexander Lehmann Die EU-Urheberrechtsreform könnte zu erheblichen datenschutzrechtlichen Problemen führen, warnt der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und Informationsfreiheit, Ulrich Kelber. Beim Einsatz von Uploadfiltern bestehe die Gefahr, dass wenige große Anbieter, die eine entsprechende Technik zur Verfügung stellen, verstärkt Daten über Nutzer vieler Plattformen und Dienste im Internet gewinnen würden.

Kelber warnt deshalb vor möglichen Konsequenzen der Reform . Auch wenn Uploadfilter nicht explizit im Gesetzentwurf gefordert würden, geht er davon aus, dass diese in der Praxis eingesetzt werden müssten. Kelber sagt: „Gerade kleinere Plattform- und Diensteanbieter werden nicht die Möglichkeit haben, mit allen erdenklichen Rechteinhabern Lizenzverträge zu schließen. Ebensowenig werden sie den immensen Programmieraufwand betreiben können, eigene Uploadfilter zu erstellen. Stattdessen werden sie auf Angebote großer IT-Unternehmen zurückgreifen, so wie das heute schon unter anderem bei Analysetools passiert, bei denen die entsprechenden Bausteine von Facebook, Amazon und Google von vielen Apps, Websites und Services verwendet werden.“

„Nicht auf dem Rücken der Internetnutzer“

Letztendlich entstünde so ein Oligopol weniger Anbieter von Filtertechniken, über die dann mehr oder weniger der gesamte Internetverkehr relevanter Plattformen und Dienste laufe. Diese würden dann weitreichende Informationen über alle Nutzerinnen und Nutzer erhalten, so Kelber weiter. Der Bundesdatenschutzbeauftragte fürchtet, dass die EU-Urheberrechtsreform als Nebeneffekt eine weitere Konzentration von Daten bei den großen Plattformen bewirkt. Gerade vor dem Hintergrund des nur ein paar Wochen alten Beschlusses des Bundeskartellamts zu Facebook sollte der Fokus eigentlich darauf gelegt werden, genau das Gegenteil zu erreichen, so Kelber.

„Wenn die EU der Auffassung ist, dass Plattformbetreiber auch ohne Uploadfilter ihrer neuen Verantwortung sinnvoll nachkommen können, muss sie dies klar darlegen.“ Andernfalls müssten die Pläne aus datenschutzrechtlicher Sicht noch einmal grundlegend überarbeitet werden. Denn bei aller Notwendigkeit der Reform dürfe diese nicht auf dem Rücken und zu Lasten des Datenschutzes der Internetnutzerinnen und -nutzer erfolgen.

Proteste gegen Uploadfilter gewinnen an Stärke

Gegen die EU-Urheberrechtsreform hat sich mittlerweile massiver Protest formiert – auch auf der Straße. In Köln demonstrierten in den letzten zwei Wochen jeweils mehrere Tausend Menschen . Am kommenden Samstag, den 2. März, wird es in Berlin unter dem Motto #berlingegen13 eine Demonstration geben, zu der ein Bündnis von Bürgerrechtsorganisationen, Journalistenverbänden und Parteien aufruft.

Es wird nicht die einzige Demonstration zum Thema in Berlin bleiben. Am 23. März sollen dann europaweit Demonstrationen stattfinden, es bildet sich dafür gerade auch ein großes europäisches Bündnis. Für diesen Tag sind Demonstrationen in Berlin, Dresden, Hamburg, Koblenz, München, Frankfurt und Stuttgart angemeldet, sowie laut SavetheInternet Aktionen in Städten in Polen, der Niederlande und in Belgien. Darüber hinaus sind noch weitere Proteste in Planung, so dass die Liste in den nächsten Tagen länger werden dürfte.

Eine europaweite Kampagne ruft zudem zum Protest per Telefon auf. Auf www.pledge2019.eu können Menschen aus Europa bis zur finalen Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments in den Büros ihrer Abgeordneten anrufen.

Gegen die Uploadfilter hatte sich schon in den letzten Wochen reger Widerspruch im Netz geregt, der sich in Videos, Memes, Mails, Tweets und Petitionen äußerte . Seit vergangenem Samstag ist der Protest auf der Straße angekommen: Zwischen 1.000 und 2.000 Menschen demonstrierten in Köln gegen die Uploadfilter bei einer Veranstaltung, die sehr kurzfristig angesetzt war. Spannend an diesem Protest ist die Tatsache, dass die Youtube-Community über eine sehr große Reichweite unabhängig von klassischen Medien verfügt und so schnell viele Menschen mobilisieren kann. Über die Urheberrechtsreform stimmt das Plenum des Europaparlaments voraussichtlich Ende März ab.

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Deutlich mehr „Stille SMS“ auch in Bundesländern

“Stille SMS” erzeugen Verbindungsdaten in einer Funkzelle. Diese werden anschließend von den Behörden bei den Mobilfunkanbietern abgefragt. CC-BY-SA 2.0 devopstom Bundesbehörden nutzen Mobiltelefone in steigendem Maße als Ortungswanzen. Das ergibt sich aus der Halbjahresübersicht , die das Bundesministerium des Innern (BMI) kürzlich auf eine parlamentarische Anfrage veröffentlicht hat. Demnach verschickte die Bundespolizei im 2. Halbjahr 50.654 „Stille SMS“, vorher waren es noch 38.990 . Eine Abnahme verzeichnen nur die Zahlen für das Bundeskriminalamt (BKA). In der zweiten Jahreshälfte hat die Behörde 21.337 „Stille SMS“ versandt, rund ein Drittel weniger als im Jahr zuvor.

„Stille SMS“ sind auf dem Mobiltelefon nicht sichtbar. Sie erzeugen bei den drei Mobilfunkanbietern Telekom, Vodafone und O2 Verbindungsdatensätze, ohne dass die Nutzenden es merken. Polizeien und Geheimdienste nutzen diese Informationen zur Erstellung von Bewegungsprofilen. Die Methode wird auf Bundesebene vor allem vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingesetzt. Vor einem Jahr stiegen die heimlichen Textnachrichten dort auf einen Spitzenwert von fast 180.000. Jetzt bleiben diese Zahlen des Inlandsgeheimdienstes erstmals unter Verschluss.

Heimlichtuerei zuerst bei MAD und Zoll

Eine ähnliche Verschwiegenheit entwickelte das BMI vor sechs Jahren für das Finanzministerium, dessen Zollkriminal- und Zollfahndungsämter ebenfalls massenhaft „Stille SMS“ verschicken. Im Jahr 2012 erzeugten die Zollbehörden fast 200.000 Ortungsimpulse, im darauf folgenden Halbjahr zeigte sich eine weiter stark steigende Tendenz . Auch wenn der Militärische Abschirmdienst (MAD) praktisch gar keine „Stillen SMS“ einsetzt, wurde dies vor sechs Jahren wenigstens noch offen mitgeteilt. Die Zahlen zum Bundesnachrichtendienst waren hingegen schon immer geheim.

Zur plötzlichen Heimlichtuerei auch für den Verfassungsschutz schreibt das Ministerium, die erbetenen Auskünfte enthielten Informationen, die Rückschlüsse auf die „Aufklärungsaktivitäten und Analysemethoden“ erlauben. „Personen im Zielspektrum“ der Maßnahmen könnten sich durch die Anzahl der Textnachrichten „auf die Vorgehensweisen und Fähigkeiten der Sicherheitsbehörden einstellen und entsprechend auf andere Kommunikationswege ausweichen“.

Das mag zwar aus Sicht der Behörde zutreffen. Es erklärt aber nicht, wieso die Zahlen zu „Stillen SMS“ erst jetzt nicht mehr offen mitgeteilt werden. Zudem hätte die Antwort auch als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ hochgestuft werden können, womit sie weiterhin per Hauspost an die Abgeordneten versandt würde. Die Informationen wurden aber komplett als „VS – Geheim“ klassifiziert. Das ist die höchste Geheimhaltungsstufe im Bundestag, die Antwort darf nur von besonders berechtigten Personen in der Geheimschutzstelle eingesehen werden.

Rasante Zunahme in Berlin und Schleswig-Holstein

Die polizeiliche Telekommunikationsüberwachung ist in Deutschland eigentlich Ländersache. Deshalb sind die Zahlen der Bundesbehörden nur wenig aussagekräftig. Ein Blick auf die Bundesländer zeigt eine deutliche Zunahme beim Versand „Stiller SMS“. So hat die Polizei Berlin im Jahr 2015 noch rund 138.000 heimliche Textnachrichten verschickt, 2018 hat sich die Zahl mehr als verdreifacht.

In Schleswig-Holstein wurden im Jahr 2016 rund 45.000 „Stille SMS“ genutzt, diese Zahl wurde 2018 schon im ersten Halbjahr erreicht. Eine ähnliche Steigerung zeigt sich in Rheinland-Pfalz und in Brandenburg . Dort wird die Methode als „0-SMS“ bezeichnet.

Viele weitere Anfragen nach den Informationsfreiheitsgesetzen liefen ins Leere. Bundesländer wie Bayern haben kein solches Gesetz erlassen, andere wie Saarland oder Sachsen-Anhalt verlangen abschreckende Gebühren. Die meisten Ministerien halten Angaben zu den Landesämtern für Verfassungsschutz unter Verschluss. Dort, wo sie mitgeteilt werden, sind die Zahlen jedoch vergleichsweise niedrig. Das zeigt, dass vor allem das BfV für die heimliche Ortung zuständig ist.

Durcheinander ist auch die Übersicht zu den Ermittlungsverfahren, für die in den Bundesländern „Stille SMS“ eingesetzt werden. Nicht alle Behörden müssen außerdem per Gesetz protokollieren, in welcher Frequenz (etwa täglich oder stündlich) eine Person heimlich angepingt wird. Im Land Brandenburg konnte die Häufigkeit der Maßnahme nur „anhand der Rechnungsführung“ beziffert werden. Tatsächlich werden die „Stillen SMS“ in einigen Bundesländern von privaten Dienstleistern verschickt . Diese Zuständigkeit soll bald auf „Gemeinsame Kompetenz- und Dienstleistungszentren auf dem Gebiet der polizeilichen Telekommunikationsüberwachung“ (GKDZ) übergehen, die in Hamburg und Leipzig errichtet werden .

Wenig Änderung nach Gerichtsurteil

Mit einem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) sollte der Versand von „Stillen SMS“ eigentlich eingehegt werden. Vor einem Jahr hatten die Richter verlangt, dass für die Maßnahme grundsätzlich eine richterliche Anordnung gemäß § 100i Absatz 1 Nr. 2 StPO eingeholt werden muss. Damit hat sich der BGH der Kritik angeschlossen, dass die „Stille SMS“ nicht auf die Regelungen zur Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation gestützt werden kann. Denn die Telekommunikationsüberwachung darf nur als passive Maßnahme durchgeführt werden, der polizeiliche Versand einer heimlichen Textnachricht ist jedoch eine aktive Maßnahme, die überdies nicht von den Betroffenen stammt.

Die Richter werten das Erzeugen solcher Daten als „aktive Einflussnahme auf den vorhandenen Datenbestand“, der einer eigenen Ermächtigungsgrundlage bedarf. Das am 8. Februar 2018 veröffentlichte Urteil scheint jedoch keinen größeren Einfluss auf die Methode zu haben. Vielleicht geht der Rückgang beim BKA auf den Richterspruch zurück, bei der Bundespolizei und in den Bundesländern ist hingegen keine Änderung zu erkennen. Auch deshalb ist die Einstufung der Zahlen für das BfV ärgerlich, denn es wäre doch interessant zu erfahren, ob ein BGH-Urteil auch die Überwachung durch die Geheimdienste einhegen könnte.

Weitere Informationen zu Zahlen aus den Bundesländern (etwa aus parlamentarischen Initiativen oder IFG-Anfragen) bitte als Ergänzung posten.

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