Netzpolitischer Wochenrückblick KW 9: Streit ums Urheberrecht, Custom Audiences und stille SMS

Macht sich auf den Weg zur Demo. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Janko Ferlič Unser Wochenrückblick wird auch als wöchentlicher Newsletter verschickt. Hier könnt Ihr Euch anmelden.

Der wichtigste netzpolitische Moment 2019 steht bevor: Durch Artikel 13 der Urheberrechtsreform droht eine Löschorgie gigantischen Ausmaßes und eine Verpflichtung zur automatisierten Vorabkontrolle aller nutzergenerierten Inhalte. Aber wie bei ACTA und der Netzneutralität können wir noch gewinnen, schreibt Thomas Lohninger . Um die Reform zu verhindern, müssen die Abgeordneten des Europaparlaments dagegen stimmen. Demonstrationen in ganz Europa fordern sie dazu auf. Wir haben alle uns bekannten Demos auf einer interaktiven Karte gesammelt.

Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber warnt vor den Uploadfiltern : Die EU-Urheberrechtsreform könnte durch sie nicht nur der Grundstein für eine Zensurinfrastruktur sein, sie sind auch aus datenschutzrechtlichen Gründen bedenklich. Die EU solle darlegen, wie die Reform ohne Uploadfilter umgesetzt werden könne, fordert Kelber.

Doch wann haben die Diskussionen über die EU-Urheberrechtsreform eigentlich begonnen? Seit wann ist bekannt, dass der Entwurf uns Upload-Filter und ein neues Leistungsschutzrecht bringen könnte? Ein Überblick darüber, was in den letzten drei Jahren geschah.

Außerdem verbreitete das Europaparlament gestern ein einseitiges und irreführendes Video zur Urheberrechtsreform . Normalerweise sind die Social-Media-Accounts von Parlamenten sehr vorsichtig in der Bewertung von politischen Vorgängen. Nicht so der Twitter-Account des Europarlamentes: Das verbreitete Video zeigt nur die Sicht der Befürworter und untermauert diese sogar mit irreführenden Aussagen.

In Brüssel übte die UN-Berichterstatterin und Menschenrechtlerin Fionnuala Ní Aoláin indes klare Kritik an einem Vorschlag der EU-Kommission zur Terrorbekämpfung . Der Entwurf schaffe eine allzu breite Definition von Terrorismus. Er sieht ebenfalls automatisierte Filter vor, die viele legale Inhalte aus dem Netz fegen könnten. Die EU biete ein schlechtes Vorbild für den Rest der Welt, beklagte die Juristin Fionnuala Ní Aoláin.

Custom Audiences und gezielte Manipulation

Jeden Tag laden Webshops und andere Unternehmen Kontaktdaten ihrer Kunden ungefragt bei Facebook hoch, um diese dort zielgenau mit Werbung zu erreichen. Bayerns Datenschutzbehörde schränkt Facebooks „Custom Audience“-Funktion jetzt ein. Warum, erklärt die Juristin Kristin Benedikt im Interview . Wie du herausfindest, welche Firmen deine Daten mit Facebook teilen, haben wir hier einmal zusammengeschrieben .

Wie der Brexit das Internet verändert: Der Ausgang der Brexit-Abstimmung hat tiefe Spuren in der britischen Gesellschaft hinterlassen. Auch für das Internet dürfte die Entscheidung nachhaltige Folgen haben, denn Desinformation und Meinungsmanipulation blieben nicht auf die Offline-Welt beschränkt. Das britische Parlament fordert nun Konsequenzen für Facebook & Co. – und könnte so zum weltweiten Vorbild für ähnliche Gesetze werden.

Wikimedia-Namensfindung und ein KI-Roman

Fast alle kennen Wikipedia, kaum jemand Wikimedia, Dachmarke für alle Wiki-Projekte der gemeinnützigen Wikimedia Foundation. Diese überlegt deshalb, Wikimedia als Dachmarke zu Gunsten von Wikipedia aufzugeben . Zunächst ist die Community am Zug.

Bald auch am Zug: Künstliche Intelligenz. In seinem Debütroman entwirft und diskutiert der Jurist Bijan Moini eine durchdigitalisierte Zukunft , in der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von einem perfekten Algorithmus gelenkt werden.

Still und heimlich

Polizei in Deutschland ist Ländersache, das betrifft auch die Überwachung der Telekommunikation. Allein in Schleswig-Holstein verschicken Polizeidirektionen so viele „Stille SMS“ wie die Bundespolizei. Ein BGH-Urteil sollte den Einsatz der heimlichen Ortungsimpulse eigentlich reglementieren .

In der aktuellen Episode unseres Podcasts sprechen wir mit Martin Kaul , Deutschlands prominentestem Livestream-Reporter, über Journalismus mit dem Handy vorm Gesicht, Recherchen am rechten Rand und die Suche nach Antworten am anderen Ende der Welt.

Als von Leserinnen und Lesern finanziertes Medium setzen wir uns dagegen nicht nur für Transparenz ein, sondern wir sind auch transparent. Wir geben Euch deshalb Einblicke in unsere Einnahmen und Ausgaben im Januar 2019 . Der erste Monat fängt gut an und wir konnten damit sogar in ein neues Projekt investieren.

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Was vom Tage übrig blieb: Twitter-Blockaden, vergessene News und Gaming-Ästhetik

Dreck auf der Linse oder vorbeihuschende Vögel?Auf Twitter ausgesperrt (Süddeutsche Zeitung)

Staatsminister Niels Annen (SPD) fand einen israelischen Journalisten lästig und blockierte ihn eben mal auf Twitter. Der Korrespondent der „Jerusalem Post“ klagt nun dagegen. Es ist nicht das erste Mal, dass dies zum Thema wird: Im Vorjahr wurde bekannt, dass deutsche Ministerien zahlreiche User nach Gutdünken blockieren . Damit greifen sie in den Zugang zu amtlichen Informationen ein – ein gefährlicher Präzedenzfall.

Top Ten der vergessenen Nachrichten 2018 (INA)

Die Initiative Nachrichtenaufklärung e. V. hat gestern wieder zehn Nachrichten oder Themen präsentiert, die in der medialen Berichterstattung 2018 zu kurz gekommen sind. Genannt waren u.a.: Portugals Wirtschafts-Comeback ganz ohne Sparen, die harten Arbeitsverhältnisse auf Containerschiffen und die humanitäre Krise im Tschad.

Pressefreiheit: Augen zu und durch (Correctiv)

Das Bundesjustizministerium hat ein Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen geschrieben, das Journalisten und Whistleblowerinnen gefährdet. Bundesjustizministerin Katarina Barley, zugleich SPD-Spitzenkandidatin, macht kurz vor der Europawahl damit keine gute Figur.

Zivilisten in Kriegsspielen (SWR2 Wissen / MP3 )

SWR2 Wissen bringt einen spannenden halbstündigen Podcast zu der Frage, wie Zivilisten im Krieg in Computerspielen inszeniert werden und welche unterschiedlichen Herangehensweisen es dabei gibt.

Computerspiele: So wertvoll wie Filmkunst (Deutschlandfunkkultur)

Computerspiele sind Kulturgut und eine eigenständige Kunstform. Die Gaming-Ästhetik beeinflusse längst schon Theater und Film, sagt der Philosoph und Spiele-Experte Daniel Martin Feige im Interview.

Jeden Tag bleiben im Chat der Redaktion zahlreiche Links und Themen liegen. Doch die sind viel zu spannend, um sie nicht zu teilen. Deswegen gibt es jetzt die Rubrik „Was vom Tage übrig blieb “, in der die Redakteurinnen und Redakteure gemeinschaftlich solche Links kuratieren und sie unter der Woche um 18 Uhr samt einem aktuellen Ausblick aus unserem Büro veröffentlichen. Wir freuen uns über weitere spannende Links und kurze Beschreibungen der verlinkten Inhalte, die ihr unter dieser Sammlung ergänzen könnt.

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Berlin: Keine rationalen Argumente für Videoüberwachung an S-Bahnhof

Etwa 55.000 Menschen nutzen täglich den S-Bahnhof Neukölln in Berlin CC-BY-SA 2.0 Ingolf Am S-Bahnhof Neukölln in Berlin sollen zwölf Überwachungskameras installiert werden. Der Bahnhofsvorplatz sei „unter Dealern und Drogenabhängigen als Handelsplatz bekannt“, schreibt die Berliner Morgenpost . Wer das liest, könnte denken, die Kameras sollten Menschen abschrecken, unter den verlängerten und aufzeichnenden Augen der Deutschen Bahn kleine Plastiktütchen gegen Geldscheine zu tauschen. Doch darum geht es gar nicht.

Auf Anfrage des Berliner Abgeordneten Niklas Schrader hat der Senat die Deutsche Bahn gefragt, welchen Zweck die Kameras erfüllen sollen. Die Antwort fällt eindeutig aus: „Zweck der Videobeobachtung ist die Erhöhung des individuellen Sicherheitsempfindens unserer Kunden“, außerdem „die Steigerung der Kundenzufriedenheit“ und Betriebsgründe wie die Verkehrslenkung.

Die Drogendelikte am S-Bahnhof Neukölln sinken: Letztes Jahr hat die Polizei laut Senat nur noch 25 Drogendelikte erfasst, 2014 waren es noch 42. Ähnlich sieht es bei anderen Straftaten aus, in den letzten drei Jahren sind sie von 209 auf 117 gesunken. Fragesteller Schrader von den Linken kann das nicht verstehen und sagt gegenüber netzpolitik.org:

Die Bahn kann auf meine Anfrage hin nicht belegen, warum die geplante Videoüberwachung am S-Bahnhof Neukölln erforderlich sein soll.

Viel wichtiger für die Prävention findet er einen neuen Drogenberatungs- und Konsumraum für abhängige Menschen. „Wenn jetzt in die Persönlichkeitsrechte von 55.000 Fährgästen pro Tag eingegriffen werden soll, deren Gesichter auf Vorrat gespeichert werden sollen, dann müssen sehr strenge Voraussetzungen gelten, die ich keinesfalls für erfüllt ansehe“, so Schrader weiter.

Videoüberwachung liegt im Trend

Der Trend zu mehr Videoüberwachung ist nicht neu. Bislang befinden sich an 19 Berliner S-Bahnhöfen Kameras, die nicht nur der Zugabfertigung dienen. Am Bahnhof Südkreuz testete die Deutsche Bahn in einem Pilotprojekt zusammen mit der Bundespolizei Überwachungskameras mit Gesichtserkennung. Tests zur Verhaltenserkennung wurden im Februar gestoppt – die Bahn hat andere Probleme und muss dringend in Personal und Infrastruktur investieren.

Im Jahr 2017 gab die Berliner S-Bahn bekannt, alte S-Bahnen mit Videoüberwachungskameras aufzurüsten . Vorher gab es in den Zügen keine Kameras – im Gegensatz zu Bahnen der BVG, die schon früh mit Überwachungstechnik ausgestattet waren. Die BVG hat die Kontrolle über mehr als 16.000 Kameras . Neue Kameras sind sogar mit Mikrofonen ausgerüstet, die seien aber laut BVG deaktiviert.

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Upload-Filter: Alle Demos auf einen Blick

Alle Rechte vorbehalten Infozentrale / Bearbeitung: netzpolitik.org In den nächsten Wochen gehen Menschen in vielen Städten Deutschlands und in anderen europäischen Ländern für eine gemeinsame Sache auf die Straße: für ein freies Internet ohne Upload-Filter und Leistungsschutzrecht. Seit Februar haben sich die Proteste gegen die EU-Urheberrechtsreform vom Netz auf die Straße ausgebreitet. In Köln demonstrierten schon zweimal mehrere Tausend Menschen und in Berlin könnten am Samstag , den 2. März, ähnliche Zahlen erreicht werden. Weitere Demonstrationen folgen schon in den nächsten Tagen, bis die Protestbewegung am 23. März vermutlich ihren Höhepunkt erreichen wird.

Wir haben eine Karte mit Informationen darüber erstellt, wo es in Deutschland überall Demonstrationen geben wird – in grün – und wo es bereits welche gab – in gelb. Wir werden die Karte und die Liste mit allen Veranstaltungen aktuell halten. Wir sammeln auch die Teilnehmerzahlen zu den Veranstaltungen. Bitte ergänzt, wenn etwas fehlt oder es eine Änderung gibt, mit jeweiligem Link zur Demo- oder Event-Seite.

Zukünftige Termine

Stadt

Auftaktort

Datum

Zeit

Berlin

Axel-Springer-Hochhaus

2.3.19

13:00

Worms

tba

2.3.19

16:00

Magdeburg

tba

9.3.19

tba

Bremen

Marktplatz

17.3.19

13:30

Berlin

Potsdamer Platz

23.3.19

14:00

Dortmund

Friedensplatz

23.3.19

14:00

Dresden

Goldener Reiter

23.3.19

14:00

Düsseldorf

Friedrich Ebert Straße

23.3.19

13:00

Erfurt

Anger

23.3.19

14:30

Frankfurt

Paulsplatz

23.3.19

14:00

Fürth

tba

23.3.19

13:00

Hamburg

Gänsemarkt

23.3.19

13:00

Hannover

Ernst-August-Platz

23.3.19

11:00

Karlsruhe

Stephanplatz

23.3.19

13:30

Kiel

Landtag

23.3.19

13:00

Koblenz

Löhrrondell

23.3.19

13:30

Köln

Neumarkt

23.3.19

14:00

Leipzig

23.3.19

14:00

Lüneburg

Am Sande, IHK

23.3.19

11:00

München

Marienplatz

23.3.19

13:30

Rostock

Universitätsplatz

23.3.19

12:00

Saarbrücken

Tbilisser Platz

23.3.19

14:00

Stuttgart

Rotebühlplatz

23.3.19

14:00

Vergangene Termine

Stadt

Datum

Teilnehmer lt. Polizei

Teilnehmer lt. Veranstalter

Köln

16.2.19

1500

2000

Köln

23.2.19

2500

4000

Hannover

1.3.19

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Urheberrechtsreform: Was in den letzten drei Jahren geschah

Es ist kurz vor zwölf bei der Urheberrechtsreform | Axel Voss: CC BY-SA 3.0 Olaf Kosinsky | Günther Oettinger: CC BY 3.0 Jacques Grießmayer |Jeden Tag gibt es neue Meldungen über die EU-Urheberrechtsreform, am meisten Aufmerksamkeit bekommen dabei die befürchteten Upload-Filter und die enthaltene Neuauflage des Leistungsschutzrechts. Auch wenn das leicht in Vergessenheit gerät: Eigentlich wird schon seit fast drei Jahren über die geplanten Änderungen diskutiert. Da kann man schon mal den Überblick verlieren, vor allem beim EU-Gesetzgebungsprozess .

Wir haben die Ereignisse der letzten drei Jahre sortiert und geben einen Ausblick, was jetzt noch bevorsteht.

16. Juni 2015: Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments beschließt einen Bericht zum Urheberrecht von Julia Reda . Damit fordert das Parlament die EU-Kommission auf, die bestehenden Urheberrechtsregeln zu prüfen und zu reformieren.

14. September 2016: Die EU-Kommission legt den ersten Entwurf für eine Richtlinie „über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt“ vor. Der damalige Digital-Kommissar Günther Oettinger präsentiert zusammen mit Vize-Kommissionschef Andrus Ansip die Pläne, die Kritik an der ersten Version der Urheberrechtsreform ist massiv.

Der Kommissionsentwurf geht ins Parlament

20. Februar 2017: In einem Berichtsentwurf lehnt die für den Verbraucherausschuss des EU-Parlaments zuständige Berichterstatterin Catherine Stihler den Vorschlag der Kommission ab .

10. März 2017: Der für die Urheberrechtsreform federführende Rechtsausschuss des EU-Parlaments veröffentlicht den Berichtsentwurf der EU-Parlamentarierin Therese Comodini Cachia. Sie ist zu diesem Zeitpunkt die Berichterstatterin und somit verantwortliche Abgeordnete für das Gesetz.

22. März 2017: Der Rechtsausschuss diskutiert über den Entwurf. Die Verhandlungsführerin Comodini Cachia spricht sich gegen den Entwurf von Oettinger aus.

11. Mai 2017: Der Parlamentsausschuss für den Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) diskutiert über seine Position zum Kommissionsentwurf.

8. Juni 2017: IMCO stimmt über die Stellungnahme des Ausschusses ab, auf eine gemeinsame Position einigen konnten sich die Ausschussmitglieder nicht . Zwar lehnt ein Großteil der Parlamentarier Upload-Filter ab, eine Mehrheit für eine Ablehnung des Leistungsschutzrechts bildet sich jedoch nicht.

Ab jetzt ist Axel Voss zuständig

15. Juni 2017: Der CDU-Politiker Axel Voss löst die maltesische Parlamentarierin Comodini Cachia als Berichterstatter für die Urheberrechtsreform ab, da sie das EU-Parlament verlässt .

Der konservative EU-Parlamentarier Axel Voss steht gerade im Zentrum vieler Memes.

11. Juli 2017: Sowohl der Industrie- als auch der Kulturausschuss stimmen über ihre Stellungnahmen zur Urheberrechtsreform ab. Der Industrieausschuss macht einen halbgaren Vorschlag, um Upload-Filter zu entschärfen, der Kulturausschuss würde mit seiner Stellungnahme die Situation noch verschlimmern und sogar Uploads zu Cloud-Diensten filtern.

20. November 2017: Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) beschließt seine Position und spricht sich gegen Upload-Filter aus. Plattformen sollen bei ihnen eingestellte Inhalte nicht generell überwachen müssen. Zum Leistungsschutz äußert sich der Ausschuss nicht.

25. Mai 2018: Der Rat der EU beschließt seine Position , Upload-Filter und Leistungsschutzrecht inklusive, und erteilt mehrheitlich das Verhandlungsmandat. Deutschland stimmt dagegen.

Der Entwurf wackelt im EU-Parlament

20. Juni 2018: Der federführende Rechtsausschuss im EU-Parlament beschließt seine Änderungsanträge – pro Upload-Filter und Leistungsschutzrecht. Nun geht es ins Plenum des Parlaments, das üblicherweise den Vorschlag des federführenden Ausschusses absegnet. Eine reine Formsache.

5. Juli 2018: Paukenschlag: Das EU-Parlament winkt den Textvorschlag des Rechtsausschusses nicht durch .

Eins der letzten Memes mit Axel Voss, das noch durchgeht. pic.twitter.com/vaFSvawDwf

— werquer (@werquer) September 12, 2018

12. September 2018: Das Parlament stimmt erneut ab. Die Mehrheit der Abgeordneten winkt den Vorschlag in dieser zweiten Abstimmung durch . Damit ist der Weg für den Trilog geebnet, in dem EU-Parlament, Kommission und Rat einen Kompromiss zwischen ihren jeweiligen Positionen verhandeln.

Verhandlungen hinter verschlossenen Türen

Oktober 2018 bis Februar 2019: Im Trilog ringen Parlament, Kommission und Rat hinter geschlossenen Türen um den endgültigen Gesetzestext.

18. Januar 2019: Die Verhandlungen geraten ins Stocken , da elf Länder im Rat den erarbeiteten Kompromissvorschlag blockieren – darunter auch Deutschland. Die größten Streitpunkte sind weiterhin Artikel 11 und 13, die ein neues Leistungsschutzrecht festsetzen und Betreiber von größeren Internetplattformen dazu zwingen würden, Inhalte vor der Veröffentlichung nach Urheberrechtsverletzungen zu filtern.

13. Februar 2019: Die Trilog-Verhandler geben bekannt, dass sie sich auf einen gemeinsamen Text zur Urheberrechtsreform geeinigt haben . Der finale Text enthält, aller öffentlichen Kritik zum Trotz, Upload-Filter und ein neuerliches Leistungsschutzrecht.

19. Februar 2019: Der Rechtsausschuss des Parlaments diskutiert über das Ergebnis des Trilogs. Berichterstatter Axel Voss dementiert, dass der Text überhaupt Upload-Filter enthalte und zieht damit Spott und Kritik auf sich.

pic.twitter.com/Nt79cxXqqK

— Homunkulus (@KramurxKarl) February 21, 2019

20. Februar 2019: Im Rat der EU wird der Kompromiss aus den Trilog-Verhandlungen abgesegnet. Deutschland stimmt dem finalen Text zu . Das steht im Widerspruch zum Koalitionsvertrag zwischen SPD und Union, in dem Upload-Filter als unverhältnismäßig bezeichnet werden.

Alles zu spät?

26. Februar 2019: Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments stimmt dem Verhandlungsergebnis zu . 16 von 25 Ausschussmitgliedern befürworten die Richtlinie.

Irgendwann zwischen Ende März und Anfang April stimmt das EU-Parlament final über das Gesetz ab. Am Text der Einigung zwischen Rat, Kommission und Parlament lässt sich nicht mehr rütteln. Das EU-Parlament könnte die Reform als Ganzes ablehnen, das ist in der Vergangenheit jedoch nur selten vorgekommen. Doch der öffentliche Druck ist groß , an vielen Orten in ganz Europa organisieren breite Bündnisse Demonstrationen gegen die Richtlinie.

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NPP169: Worum geht es eigentlich bei der ePrivacy-Reform?

Das Ende der Online-Werbung? Wird auch die ePrivavcy-Reform nicht einläuten. Aber immerhin dürften dann nicht ohne Zustimmung Daten über uns gesammelt werden, um möglichst passende Werbung zu zeigen. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Pawel Czerwinski Dürfen andere wissen, wann ich wie lange mit wem telefoniert habe? Wo ich dabei stand? Wie oft ich in einem bestimmten WLAN an der U-Bahn-Station vor meiner Wohnung eingeloggt war? Oder vor der Praxis meines Therapeuten? Dass ich vorher im Netz ein Selbsthilfebuch bestellt habe? Um all das geht es bei der ePrivacy-Verordnung, die derzeit in der EU abgestimmt wird.

Das alte Gesetz stammt noch aus dem Jahr 2002: einer Ära vor WhatsApp, Online-Alles-Shopping und tragbaren Minicomputern in der Tasche fast jedes Menschen. Es greift für die Telekom, nicht aber für Messenger, es passt nicht mehr zu unserem digitalen Alltag. Eigentlich hätte die neue Verordnung längst in Kraft treten sollen, gleichzeitig mit der Datenschutzgrundverodnung, aber der Prozess zieht sich hin. Seit anderthalb Jahren liegt die Reform jetzt auf Eis, weil sich die Mitgliedsstaaten im Rat nicht einigen können. Die Frage ist: Wie wird das Kräftemessen ausgehen, zwischen jenen Firmen und Verlagen, die daran verdienen uns zielgenaue Werbung zu zeigen oder unsere Daten zu verkaufen und denen, sie versuchen die Privatsphäre von Millionen EU-Bürger*innen zu verteidigen.

Darüber sprechen wir mit Florian Glatzner vom Verbraucherzentrale Bundesverband, der in genau diesem politischen Prozess die Interessen von Verbraucher*innen vertritt, sprich: uns, all jenen, die diese Dienste und Angebote nutzen und dafür oft unwissentlich mit ihren Daten zahlen. Er erklärt, wie wir heute schon im Netz und manchmal auch offline Schritt für Schritt verfolgt werden, und welche Tricks Firmen jetzt schon anwenden, um uns trotz Do-Not-Track-Einstellung und gelöschten Cookies weiter auszuspähen.

Sollen sie das weiter tun dürfen und wird es dafür Verbote geben? Darüber kann die EU entscheiden und damit selbst Facebook und Google klare Grenzen zu setzen – wenn es im Prozess nur mal vorwärts ginge.

NPP169 mit Florian Glatzner, Chris Köver und Ingo Dachwitz zum Nachhören gibt es hier :

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Hier ist der NPP zur ePrivacy-Reform als mp3-Datei .

Alternativ bieten wir ihn auch als ogg-Datei zum Download .

Shownotes:

All Folgen von „NPP – Dem Netzpolitik-Podcast“

Florian Glatzner auf Twitter

Der knappe Ausgang der ePrivacy-Debatte im EU-Parlament und Martin Sonneborns Rolle

Die Lobbymacht der Datenindustrie (Bericht des Corporate Europe Observatory)

Facebook attacked over app that reveals period dates of its users (Guardian)

„Hier bitte keine Werbung“ (Zeit Online)

After GDPR, The New York Times cut off ad exchanges in Europe — and kept growing ad revenue (Digiday UK)

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Was vom Tage übrig blieb: Artikel 13, veränderte Politiker und russische Zensur

Wenn schon keinen Sonnenschein, dann lieber blaugrau als graugrau.Wenn der CDU zum #Artikel13 die Argumente ausgehen (Blogrebellen)

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Heribert Hirte stellte sich dem allgemeinen Twitter-Publikum mit guten Argumenten vor. Das hat auch bestens geklappt.

Wie Hass und Hetze Politiker verändern (SZ-Podcast)

Der SZ-Podcast „Das Thema“ hat zwei Politiker:innen dazu befragt, welche Konsequenzen das ständige Konfrontieren mit sexistischen Gewaltandrohungen, verbalen Aggressionen und ehrverletzenden Briefen hat.

12. Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation (PDF)

Die Expertenkommission Forschung und Innovation hat gestern ihr 12. Jahresgutachten an Bundeskanzlerin Angela Merkel überreicht. Die Kernthemen in diesem Jahr sind Rolle von Start-ups im Innovationssystem, Innovationen für die Energiewende, Blockchain und Digitalisierung der Hochschulen. Zum Thema KI-Strategie der Bundesregierung schreiben sie: „Die derzeitige Fassung der KI-Strategie hat nach Ansicht der Expertenkommission aber erheblichen Weiterentwicklungsbedarf, da sie in vielen Punkten vage bleibt. Vor allem bedarf es eines Implementierungsplans mit klar definierten Zielvorgaben.“ Übersetzt heißt das: Es fehlt der Strategie die Strategie.

Schutz für Geschäftsgeheimnisse – Gefahr für Recherche? (NDR-Zapp)

„Stärkeren Schutz für Journalisten und Hinweisgeber“ soll das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen bieten. Doch es könnte den Zugang zu Informationen erschweren – so die Befürchtung.

Internet-Giganten müssen Druck widerstehen (Reporter ohne Grenzen)

Russland spannt sein Überwachungs- und Zensurnetz immer enger und zwingt unter anderem Google dazu, dem Regime nicht genehme Suchergebnisse auszublenden. Reporter ohne Grenzen appelliert nun an die globalen Internet-Plattformen, sich dem Druck der russischen Regierung zu widersetzen und die Meinungsfreiheit zu verteidigen.

Tracking: Ein Tag im Internet – welche Spuren hinterlasse ich (BR2)

Radio-Feature von Christian Schiffer auf Bayern 2 über Tracking und Datenspuren.

Jeden Tag bleiben im Chat der Redaktion zahlreiche Links und Themen liegen. Doch die sind viel zu spannend, um sie nicht zu teilen. Deswegen gibt es jetzt die Rubrik „Was vom Tage übrig blieb “, in der die Redakteurinnen und Redakteure gemeinschaftlich solche Links kuratieren und sie unter der Woche um 18 Uhr samt einem aktuellen Ausblick aus unserem Büro veröffentlichen. Wir freuen uns über weitere spannende Links und kurze Beschreibungen der verlinkten Inhalte, die ihr unter dieser Sammlung ergänzen könnt.

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Transparenzbericht: Unsere Einnahmen und Ausgaben im Januar 2019

Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Kat Yukawa Schöner Januar: Mehr Spenden als Ausgaben

Das neue Jahr ist für unsere nachhaltige Finanzierung gut gestartet. Dank Eurer Unterstützung haben wir insgesamt 56.733 Euro eingenommen. Davon waren alleine 54.761 Euro Spenden im Sinne unserer freiwilligen Leser:innenfinanzierung von 2882 Spender:innen. Dazu kamen Rückerstattungen in Höhe von 1.237 Euro, eine Stellenanzeige haben wir für zwei Wochen zum Preis von 595 Euro verkauft und durch die Lizenzierung unserer Inhalte für einen Pressespiegel weitere 139 Euro eingenommen.

Dem standen Ausgaben von 54.617 Euro gegenüber. Diese waren überdurchschnittlich hoch, weil wir alleine 7.301 Euro investiert haben in T-Shirts, Pullover und weitere Gegenstände, die demnächst in unserem Onlineshop mit unserem „Fight for your digital rights“-Slogan gekauft werden können. Das war also eine Investition in die Zukunft, von der wir hoffen und ausgehen, dass die Ausgaben wieder durch Verkäufe reinkommen. Und wir Euch zum ersten Mal die Möglichkeit bieten können, unsere Merchandise-Produkte für alle Interessierten außerhalb unseres Büros und auserwählter Konferenzen zu erwerben.

Höhere Ausgaben dank Arbeitskampf

Der größte Posten bei den Ausgaben war traditionell den Personalkosten vorgesehen. Mit 36.331 Euro finanzierten wir 15 Personen auf zehn Vollzeitstellen verteilt. Die etwas erhöhten Ausgaben waren auch Ergebnis eines Arbeitskampfes unserer studentischen Mitarbeiter, die wir in ihrer Finanzierung jetzt an den Tarifvertrag studentischer Mitarbeiter an Berliner Universitäten angepasst haben. Wir hatten auch kaum Argumente gegen ihr Anliegen, sondern im Gegenteil: sie verdienen dieses Gehalt auf jeden Fall, denn sie sind ein wichtiger Bestandteil für das Funktionieren von netzpolitik.org. Auch das Gehalt für unser gesamtes Redaktionsteam wird im April in Richtung Tarif für Journalist:innen angepasst.

Trotz Investitionen: Mehr als 2.000 Euro Plus gemacht

Für die Miete inklusive Full-Service haben wir 3.677 Euro gezahlt, der Bürobedarf lag mit 1.783 Euro besonders hoch und für die Verschickung von Spendenquittungen haben wir 360 Euro für Porto und Briefmarken ausgegeben. Dafür konnten wir mittlerweile alle Spendenquittungen für 2018 bearbeiten und verschicken.

Für Externe zahlten wir 3.738 Euro, das waren vor allem Steuerberatung (Steuerklärung) und Buchhaltung.

(Bank-)Gebühren haben uns 416 Euro gekostet und Reisekosten nur 158 Euro. Für Abos anderer Medien gingen 63 Euro drauf, 70 Euro hat die Erstattung eines Presseausweises gekostet, 88 Euro Erneuerung von einzelnen Versicherungen und die letzte Klausurtagung wurde mit 632 Euro finanziert.

Damit haben wir im Januar 2116 Euro plus gemacht. Vielen Dank für die Unterstützung.

Wir sind gespannt, was dieses Jahr kommt. Wir kalkulieren 2019 mit rund 550.000 Euro und einem durchschnittlichen monatlichen Spendenziel von rund 46.000 Euro. Mehr Einnahmen können wir in den Ausbau unserer Redaktion stecken, sowie Rücklagen für mögliche juristische Streitigkeiten anlegen, in die wir aufgrund unserer Arbeit häufiger mal reingezogen werden. Irgendwas kann ja immer sein. Ob wir vor Gericht mittels Informationsfreiheitsgesetz für mehr Freiheiten kämpfen oder uns aufgrund unserer kritischen Berichterstattung verteidigen müssen.

Danke für Eure Unterstützung!

Wenn Ihr uns dabei unterstützen wollt, findet Ihr hier alle Möglichkeiten . Am besten ist ein Dauerauftrag, der uns ermöglicht, langfristig zu planen:

Inhaber: netzpolitik.org e. V.

IBAN: DE62430609671149278400

BIC: GENODEM1GLS

Zweck: Spende netzpolitik.org

Wir freuen uns auch über Spenden via Bitcoin oder Paypal .

Wir sind glücklich, die besten Unterstützerinnen und Unterstützer zu haben. Das motiviert ungemein.

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Wie der Brexit das Internet verändert

Der Brexit verändert nicht nur das Vereinigte Königreich nachhaltig, sondern womöglich auch das Internet. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Emily Wang Großbritannien wird sich demnächst nicht nur von Europa und dem Rest der Welt abnabeln, wenn in wenigen Wochen der Brexit (vielleicht) über die Bühne geht. Die Insel könnte auch eine Vorreiterrolle bei der Plattformregulierung einnehmen, folgt die britische Regierung den weitreichenden Empfehlungen eines parlamentarischen Ausschusses . Damit könnte sich das Land, das Massenüberwachung, vorinstallierten Porno-Filtern oder Staatstrojanern nicht sonderlich kritisch gegenübersteht, noch weiter isolieren – oder eine Vorbildwirkung für andere Länder entfalten, im Guten wie im Schlechten.

Die Forderungen des Parlaments haben es in sich. Sie bilden weite Teile der derzeitigen Debatte ab und zeigen konkrete Wege auf, wie demokratische Gesellschaften mit dominanten sozialen Netzwerken, algorithmischen Black Boxen und Manipulationen von Nutzern oder gar ganzen Wahlgängen umgehen sollen: Anbieter wie Facebook könnten künftig für „schädliche Inhalte“ haftbar gemacht werden, die Nutzer posten; sie sollten ihre Sicherheitsmechanismen und Algorithmen gegenüber Aufsichtsbehörden offenlegen; aus Rohdaten abgeleitete Informationen sollten genauso geschützt werden wie personenbezogene Daten; und übermächtige IT-Konzerne könnten sogar ganz zerschlagen werden, wenn sie sich zu einem Monopol entwickeln.

Pulverfass Brexit

Aus dem Nichts kommen diese in der letzten Woche vorgestellten Vorschläge nicht. Tatsächlich sind sie untrennbar mit der denkbar knapp ausgegangenen Volksabstimmung über den britischen EU-Austritt verbunden. Bei der kam es sowohl off- als auch online massiv zu gezielter Desinformation, dunklen Geldflüssen und intransparenten Seilschaften – insbesondere im Lager der Brexit-Befürworter. Viele zweifeln deshalb grundsätzlich die Legitimität des Resultats des Referendums an. Um diesen Vorwürfen auf den Grund zu gehen, richtete das britische Unterhaus schließlich eine eigene Kommission ein.

18 Monate lang hatten Abgeordnete des Ausschusses für Digitales, Kultur, Medien und Sport das giftige Ökosystem aus Desinformation, Meinungsmanipulation, Wahlbeeinflussung und Datenmissbrauch unter die Lupe genommen. Neuen Zündstoff erhielt die Untersuchung nach dem Bekanntwerden des Datenskandals rund um Facebook und Cambridge Analytica . Aufsehenerregende Aussagen des Whistleblowers Christopher Wylie zeigten fragwürdige Verflechtungen zwischen der EU-Austrittskampagne und Datenanalysefirmen auf, die Spuren reichten vom Putinschen Russland bis in den US-Präsidentschaftswahlkampf von Donald Trump. Herausgekommen ist nun ein über 100 Seiten starkes Papier mit greifbaren Forderungen an Premierministerin Theresa May. Inhaltlich deckt es sich weitgehend mit dem Zwischenbericht, über den wir im letzten Sommer ausführlich berichteten .

Ob die konservative Regierung die Vorschläge der mehrheitlich ebenfalls konservativen Abgeordneten umsetzen wird, steht in den Sternen – schon allein, weil sie mit dem nahenden Brexit hoffnungslos überfordert ist und dies wohl auf absehbare Zeit bleiben wird. Und auch, weil führende Brexit-Befürworter wie Michael Gove oder Stephen Parkinson mittlerweile hohe Regierungsämter bekleiden. Beide spielten eine wichtige Rolle in der „Vote Leave“-Kampagne. Diese hatte die kanadische Datenfirma AggregateIQ (AIQ) beauftragt, Wähler gezielt mittels Micro-Targeting anzusprechen – mit von Facebook abgezogenen Informationen über die jeweiligen Menschen, die in Profile gegossen wurden. Weil all dies halb bis gänzlich illegal war, hat Facebook das mit der Cambridge-Analytica-Mutter SCL Group undurchsichtig verbandelte Unternehmen inzwischen suspendiert . Doch da war das Kind schon längst in den Brunnen gefallen.

„Frontalangriff aufs Internet“ lebt weiter

Ganz abwegig ist eine zumindest teilweise Umsetzung der Empfehlungen des Ausschusses allerdings nicht, selbst wenn der britische Ex-Vizepremier Nick Clegg, ein Intimkenner der britischen Innenpolitik, mittlerweile zum Chef-Lobbyisten Facebooks bestellt wurde. So zogen die Konservativen mit einem Manifest in die letzte Wahl , das sich als „Frontalangriff aufs Internet“ bezeichnen lässt. Darin forderten die letztlich siegreichen Tories unter anderem, „schädliche Inhalte“ aus dem Netz zu fegen, um das Vereinigte Königreich zum „sichersten Platz online“ zu machen. „Schädliche Inhalte“ können natürlich alles mögliche sein, die Spannbreite reicht vom entblößten Nippel bis zum Enthauptungsvideo.

Bei einer reinen Insellösung blieb es dabei nicht: Auf die europäische Ebene schaffte es etwa der Vorschlag, diesen Löschansatz auf „terroristische Propaganda“ im Netz auszuweiten. Den brisanten Verordnungsentwurf , der die Meinungs- und Informationsfreiheit im Internet spürbar einschränken könnte, verhandelt derzeit das EU-Parlament – ausgerechnet unter der Federführung eines konservativen Briten .

Nun wäre es unfair, den EU-Gesetzentwurf allein dem Vereinigten Königreich anzulasten. Schließlich erhielt der Plan tatkräftige Unterstützung aus Deutschland und Frankreich . Und just auf verhältnismäßig neue gesetzliche Regelungen – die ersten Versuche, Plattformen in die Pflicht zu nehmen – dieser beiden Länder bezieht sich der parlamentarische Bericht, namentlich auf das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) sowie auf das französische Gesetz gegen Desinformation in Wahlkampfzeiten .

Insbesondere das NetzDG hätte Anbieter wie Facebook dazu gebracht, es nicht bei Lippenbekenntnissen zu belassen: „Als ein Resultat dieses Gesetzes arbeitet nun einer von sechs Facebook-Moderatoren in Deutschland“, heißt es in dem Bericht. Dies sei ein Beleg dafür, dass solche Gesetze, verknüpft mit hohen Geldstrafen bei etwaigen Verstößen, funktionieren würden.

Soziale Netzwerke sind keine „neutralen“ Vermittler

Doch an dieser Stelle wollen die britischen Abgeordneten nicht stehen bleiben und fordern von ihrer Regierung, Nägel mit Köpfen zu machen. Facebook, Twitter & Co. dürften sich nicht mehr hinter der vorgeschobenen Behauptung verstecken, lediglich neutrale Plattformen zu sein, um sich der Haftung zu entziehen. Stattdessen brauche es eine neue Kategorie für solche IT-Unternehmen, die irgendwo zwischen „Plattform“ und „Herausgeber“ liegen soll. „Dieser Ansatz würde dafür sorgen, dass Tech-Unternehmen die rechtliche Verantwortung übernehmen für schädliche Inhalte, die von Nutzern gepostet werden“, schreiben die Parlamentarier.

Mit anderen Worten: Plattformen müssten sämtliche Inhalte filtern, erkennen, einschätzen und gegebenenfalls löschen. Oder sie entsprechend markieren, sollte es sich beispielsweise um politische Werbung handeln. Durchsetzen soll das ein verbindlicher Ethik-Codex und letztlich eine gesetzliche Regelung, fordern die Abgeordneten.

Grundsätzlich verkehrt sind diese Vorschläge nicht. Allerspätestens, seit Facebook, Youtube & Co. begonnen haben, die Inhalte auf ihren Plattformen algorithmisch zu bewerten, sie unterschiedlich zu behandeln und zum Zwecke der Gewinnmaximierung, unabhängig vom Wahrheitsgehalt oder Nutzwert, besonders aufregende Inhalte nach oben zu spülen , ist die Mär vom „neutralen Anbieter“ nicht mehr zu halten.

Aber wie so oft steckt der Teufel im Detail. Denn eine gesetzliche Regelung muss auf einer soliden rechtlichen Basis stehen und die Verantwortung für Entscheidungen, die Grundrechte einschränken, nicht auf die Konzerne selbst abschieben – auch wenn die zuständigen Politiker meinen, etwas anderes zu behaupten.

Löschen, was unerwünscht ist

So dreht sich der Großteil der Kritik am NetzDG wie an der geplanten EU-Anti-Terror-Verordnung um die immer weiter voranschreitende privatisierte Rechtsdurchsetzung im digitalen Raum. Am demokratischen Rechtsstaat vorbei etabliert sich zunehmend ein paralleles Rechtssystem, das auf privaten, sich ständige wandelnden AGBs , Gemeinschaftsrichtlinien oder sonstigen kommerziell orientierten Regelwerken fußt. Entfernt wird zudem nicht notwendigerweise , was tatsächlich illegal, sondern was auf der jeweiligen Plattform gerade unerwünscht ist.

Gekoppelt damit, dass sich die moderne digitale Öffentlichkeit und Meinungsbildung inzwischen auf nur einer Handvoll von Plattformen abspielt – ein Markt, der zur Monopolbildung neigt – und sich viele Politiker wider besseres Wissen technikgläubig zeigen, droht eine willkürliche Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit . Rufe nach einer Regulierung von sozialen Netzwerken klingen gut, bleiben aber oft bemerkenswert unscharf, wenn es an die konkrete Umsetzung geht.

So verwies der Ausschussvorsitzende Damian Collins gegenüber dem Guardian auf die deutschen und französischen Ansätze, um die algorithmisch verstärkten Probleme von Hassrede und Desinformation in den Griff zu bekommen . Zugleich machte Collins jedoch deutlich, von wem er sich welche Lösung erwartet: Soziale Netzwerke „könnten mehr investieren, um mit [Hassrede und Desinformation] umzugehen und proaktiv diese Inhalte selbst zu erkennen“, sagte Collins. Ein Lösungsvorschlag, der sich auch in der EU-Verordnung gegen Terrorismus wiederfindet, aber automatisierten und mit Künstlicher Intelligenz gestützten Filtersystemen zu viel Vertrauen schenkt.

Allen wohlmeinenden Absichtserklärungen zum Trotz: Am Ende des Tages würde erst recht wieder Facebook selbst entscheiden. Dabei stellen die Abgeordneten in ihrem Bericht fest: „Unternehmen wie Facebook sollte es nicht erlaubt sein, sich wie ‚digitale Gangster‘ in der Online-Welt zu benehmen und zu glauben, über dem Recht zu stehen.“

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Europaparlament verbreitet auf Twitter einseitiges und irreführendes Video zur Urheberrechtsreform

Ausschnitt aus dem umstrittenen Video. Im Bild: Axel Voss. Alle Rechte vorbehalten Europaparlament Der offizielle Twitter-Account des EU-Parlamentes verbreitet vor der Abstimmung ein einseitiges Video für die umstrittene Urheberrechtsreform , in der nur die Position von Axel Voss vorkommt. Das ist ungewöhnlich, denn Parlamentsaccounts werden in der Regel überparteilich geführt und die letztendliche Zustimmung zur Reform ist noch nicht sicher. Die Europaabgeordnete Julia Reda sagt auf Twitter , dass die Kritik am Video des Europarlamentes berechtigt sei. Gegenüber netzpolitik.org bezeichnet sie das Video als politisch einseitig und skandalös.

Nach den Ausfällen der EU-Kommission gegenüber Gegner der Reform, diese hatte Kritiker als Mob bezeichnet, hätte das nicht nochmal passieren dürfen, so die Piraten-Politikerin, die für die grüne Fraktion im Parlament sitzt. „Das Parlament sollte in seiner Kommunikation Neutralität wahren, bis die Entscheidung über die Urheberrechtsreform getroffen ist. Das Video erweckt nicht nur den Eindruck, die Entscheidung sei bereits gefallen, es enthält auch einige sachliche Fehler und problematische Aspekte.“

Falschinformationen im Video

Im Video wird behauptet, dass Plattformen weniger von Artikel 13 betroffen seien, wenn sie weniger als zehn Millionen globalen Umsatz oder fünf Millionen Unique Visitors im Monat haben. Tatsächlich müssen allerdings beide Voraussetzungen erfüllt sein – und die Plattform darf nicht älter als drei Jahre sein. Eine weitere Falschbehauptung sei, dass die Richtlinie keine Verpflichtung enthalte, Uploadfilter zu installieren. Diese Verpflichtung gibt es aber in Artikel 13 (4) Punkt (b) und (c), wenn die Plattform der Haftung für Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer:innen entgehen will, so Reda weiter . Zudem ist im Video eine PR-Aktion der Urheberrechts-Lobbyorganisation „Europe for Creators“ zu sehen. Proteste und Gegenstimmen zur Reform kommen im Video hingegen nicht vor, vielmehr wird beschwichtigt und weggelassen.

Verantwortlich für die Veröffentlichungen des Europäischen Parlaments ist der Generaldirektor für Kommunikation, Jaume Duch Guillot. Julia Reda hat als Mitglied des Parlaments das Recht, alle Dokumente einzusehen, die zur Veröffentlichung dieses Videos geführt haben. Reda hat einen Antrag auf Wahrnehmung dieses Rechts gestellt und wird auf diese Weise hoffentlich bald genaueres sagen können, wie das Video entstanden ist. Auch der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken beschwerte sich auf Twitter über ein „faktisch inkorrektes Video“. Er hat sich nach eigener Auskunft schon beim Präsidenten des EU-Parlamentes über das Video beschwert.

Auf Anfrage von netzpolitik.org wollte ein Sprecher des Europaparlamentes kein offizielles Statement zum umstrittenen Video abgeben.

Immer mehr Kritik und Proteste auf der Straße

Unterdessen wird die Liste der Kritiker der Urheberrechtsreform immer länger. Nach dem Bundesdatenschutzbeaufragten kritisiert nun auch die Gesellschaft für Informatik e.V. (GI)   die in wenigen Wochen vom EU-Parlament zu verabschiedende EU-Richtlinie zur Urheberrechtsreform. Der Verein fürchtet, wie viele andere Organisationen, dass durch den Artikel 13 eine Zensurinfrastruktur etabliert werden könnte. Der Präsident der GI, Prof. Dr. Hannes Federrath, sagt: „Es ist richtig und wichtig, das Urheberrecht an das digitale Zeitalter anzupassen. Die hier vorgeschlagene automatisierte Prüfung auf Urheberrechtsverletzungen legt jedoch den technischen Grundstein für eine Zensur- und Kontrollinfrastruktur im Internet. Zugleich wird sie Urheberrechtsverletzungen und kriminelle Inhalte nicht wirkungsvoll verhindern können.“ Deshalb appelliert die Gesellschaft für Informatik an alle Europaabgeordneten, das endgültige Inkrafttreten der Richtlinie in ihrer aktuellen Form in der anstehenden Abstimmung im Europaparlament abzulehnen.

In Deutschland und anderen europäischen Ländern sind außerdem zahlreiche Proteste auf der Straße angekündigt. Schon am Samstag, den 2. März wird es eine Demonstration in Berlin geben , für den 23. März sind dann viele Demonstrationen in ganz Europa geplant . Aufgrund der Dynamik der Proteste, kann es gut sein, dass noch weitere Aktionen in den kommenden Wochen hinzukommen. Neben Straßenprotesten gibt es auch eine europaweite Telefonaktion, bei der Bürgerinnen und Bürger ihre Abgeordneten anrufen sollen. Ein Tool unter Pledge2019.eu bietet dafür die komplette Infrastruktur (wir berichteten ). Die endgültige Abstimmung für die Urheberrechtsreform ist derzeit zwischen dem 25.-28. März angesetzt, der 27. März gilt als möglicher Favorit.

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