Bürgerrechtler: Berliner Nahverkehr soll auf Kameras mit Mikrofonen verzichten

Überwachungskamera an einem U-Bahnhof in Berlin. CC-BY-SA 4.0 Markus Reuter Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) betreiben mehr als 16.000 Kameras in U-Bahnen, Bussen, Straßenbahnen und auf ihren Haltestellen und Bahnhöfen. Im Jahr 2018 wurden die Verkehrsbetriebe knapp 4.700 Mal von Strafverfolgungsbehörden um Herausgabe von Videomaterial aufgefordert. Insgesamt gaben die Verkehrsbetriebe 61.130 Stunden Videomaterial heraus. Das sind im Schnitt etwa 13 Stunden Material pro Anfrage.

Das geht aus der Antwort der Senatsverwaltung für Inneres und Sport auf eine schriftliche Anfrage des FDP-Abgeordneten Marcel Luthe hervor, die netzpolitik.org vorliegt und demnächst offiziell veröffentlicht wird. Die BVG-Pressestelle erklärt gegenüber netzpolitik.org die große Menge an Material mit den Anfragen der Polizei, die oft weit gefasst seien. Bei der Anzahl von Kameras pro Wagen und Bahnhof käme da schnell viel Material zusammen. Je unbestimmter der Fall und weitgefasster die Möglichkeiten eines Straftäters zur Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, desto mehr Stunden fielen bei einer Anfrage an.

Auf die Frage, wo wie viele Kameras im Einsatz sind, gab das Unternehmen in der parlamentarischen Anfrage keine konkrete Antwort, sondern nur Näherungswerte:

In U-Bahnen 2-4 Kameras pro Wagen

In Straßenbahnen 6-8 Kameras pro Wagen

In Bussen 3-5 Kameras pro Wagen

In Bahnhöfen und Liegenschaften mindestens 2 Kameras.

Die derzeit größte Anzahl an Kameras werde auf dem Alexanderplatz mit 161 Überwachungskameras erreicht. Die Kosten für Videoüberwachung gibt das Verkehrsunternehmen mit mehr als sechs Millionen Euro im Jahr 2018 an. Bislang werden Kamerastandorte nur von privaten Projekten wie „Surveillance under Surveillance“ erfasst.

Datenschutz durch guten Willen?

Durch die schriftliche Anfrage kam zudem heraus, dass die BVG über Kameras verfügt, die prinzipiell auch Tonaufnahmen machen können. Kameras der neueren Generationen seien in der Lage, Audiodaten zu übertragen, heißt es in der Antwort. Diese Funktion sei aber durch die Administratoren deaktiviert und somit nicht verfügbar.

„Unser Datenschutzbeauftragter hat genau festgelegt, wer darauf Zugriff hat und wer nicht“, sagt Unternehmenssprecherin Petra Nelken gegenüber der Berliner Zeitung . Die Mitarbeiter in der Sicherheitszentrale hätten nur die Bilder und keinen Ton. Die IT-Leute arbeiten laut BVG-Presseabteilung in einer anderen Abteilung an einem anderen Standort.

Bei der Berliner Datenschutzbeauftragten war bisher nicht bekannt, dass die Kameras auch Ton übertragen können, berichtet die Berliner Zeitung. Soweit technisch und organisatorisch sichergestellt sei, dass die Mikrofone nicht aktiviert sind, sieht die Behörde das Vorhandensein der Mikrofone aber unkritisch“, sagt eine Sprecherin gegenüber der Zeitung.

Anja Heinrich, Vorstandsmitglied der Humanistischen Union, ist da anderer Meinung. Sie kritisiert gegenüber netzpolitik.org, dass die massenhafte Videoüberwachung schon ein enormer Eingriff in die Freiheitsrechte der Menschen in Berlin und der Nutzen äußerst fraglich sei. „Eine Tonüberwachung käme einem George-Orwell-Szenario gleich und wäre ein völlig unverhältnismäßiger und rechtswidriger Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Fahrgäste. Die BVG muss daher unbedingt sicherstellen, dass keine Tonaufnahmen stattfinden. Fraglich ist, ob sie dies hinreichend gewährleisten kann. Es wäre ihr anzuraten, daher auf Kameras mit entsprechenden Funktionen zu verzichten“, so Heinrich weiter.

Padeluun von der Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage sieht eine Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes. Hier sei auch der Versuch strafbar. „Diese Anlagen sind unverzüglich außer Betrieb zu nehmen“, fordert er gegenüber netzpolitik.org.

„Wir sind erstaunt und erschüttert, dass die BVG Kameras verbaut, die Ton aufzeichnen können“, sagt ein Sprecher von Endstation Jetzt, einem des Aktionsbündnis, das sich gegen Kameras im öffentlichen Raum einsetzt. So schaffe die landeseigene BVG Tatsachen. Alleine die Möglichkeit, dass die Kameras mit Mikrofonen ausgestattet seien, könnte eine Verhaltensänderung von Passant:innen auslösen, so der Sprecher weiter.

George-Orwell-Szenario

Auch der FDP-Abgeordnete Luthe sieht die Mikrofone kritisch: „Schon jetzt kann also jeder mit einem Admin-Zugang bei der BVG munter heimlich Gespräche belauschen und aufzeichnen. Die reguläre Nutzung ist der logische nächste Schritt für die Freunde der anlasslosen Bespitzelung – es könnte doch vielleicht jemand eine Straftat planen.“ Die BVG lege mit ihren neuen Kameras die technische Grundlage für eine anlasslose Totalüberwachung der Bürger. Jede vorhandene Technik würde früher oder später auch eingesetzt und sodann auch das gesprochene Wort von einem Staatsunternehmen überwacht – das wäre dann der größtmögliche Lauschangriff. Von so etwas hätte die Stasi nur träumen können, so Luthe weiter.

Doch nicht nur bei den Sicherheitsbehörden dürfte die Audio-Funktionalität Begehrlichkeiten wecken, auch kriminelle Hacker könnten dies nutzen, um Gespräch zu belauschen. Es stellt sich auch die Frage, warum ein quasi-staatliches Unternehmen Überwachungstechnik kauft, die sie gar nicht einsetzen darf. Eine flott-schnippische Antwort aus der PR-Abteilung „So ist das bei Technik eben manchmal“ hilft da nicht weiter.

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Was vom Tage übrig blieb: Opfer-Tichy, Palantir-Kumpel und Salvator Dali

Langsam, aber sicher frühlingt es.Cambridge Analytica: Fact-finding over, Italian SA ready to impose sanctions (Garante per la protezione dei dati personali)

Die italienische Datenschutzbehörde untersagt Facebook die Verarbeitung von Daten, die in Zusammenhang mit dem Vote-Button und der „Candidates“-Funktion gesammelt wurden.

Probleme der EU-Urheberrechtsreform bleiben bestehen (Wikimedia)

Wikimedia Deutschland hat den aktuellen Zwischenstand der Urheberrrechtsreform kurz vor Ende der Verhandlungen analysiert und kommt zum Urteil: „Der derzeit vorliegende Reformtext wird den Zugang zu Wissen im Netz bestenfalls geringfügig verbessern, sehr wahrscheinlich aber insgesamt eher einschränken. Er ist auch weit davon entfernt, das eigentliche Ziel der EU-Kommission zu erreichen, „nationale Silos abzubauen“ und das Urheberrecht zeitgemäß anzupassen.“

Kein Kampf: Roland Tichy macht sich zum Opfer (Übermedien)

Stefan Niggemeier analysiert bei Übermedien, wie sich Roland Tichy erst mal mit geraunten Verschwörungstheorien eine Abmahnung einfing, dann in eine Opferrolle verfiel und noch mehr Verschwörungstheorien lieferte, um einen Streisand-Effekt bei seiner Zielgruppe zu organisieren. Leider ein Bärendienst für die Pressefreiheit.

Gefährdet neue EU-Richtlinie Whistleblower? (ZAPP)

Auf EU-Ebene gibt es eine Debatte um Whistleblower. NDR-Zapp berichtet über die letzten Entwicklungen. Einer der großen Bremser ist mal wieder Axel Voss von der CDU. Wenn es nach ihm ginge, würde der Whistleblowerschutz in der EU damit nicht verbessert, sondern sogar noch verschlechtert.

‚Overreacting to failure‘: Facebook’s new Myanmar strategy baffles local activists (Guardian)

Facebook hat in Myanmar viel Schaden angerichtet. Nach vielen Toten und noch mehr schlechter PR möchte man jetzt alles anders machen. Und ist wieder dabei, viel Schaden anzurichten wie der Guardian einordnet.

Jodorowsky’s Dune (ARTE)

Faszinierende Dokumentation bei Arte über einen Film, der leider nie gedreht wurde: Jodorowsky’s Dune. Alejandro Jodorowsky wollte in den 70ern Frank Herberts „Der Wüstenplanet“ drehen und sammelte dafür ein Dream Team ein. Es fanden sich aber leider keine Finanziers in Hollywood, der Film war mehr als ambitioniert, die Technik war längst noch nicht so weit und Salvator Dali wurde damit nicht zum teuersten Schauspieler der damaligen Zeit.

Oracle Didn’t See the Data Reckoning Coming (Bloomberg)

Schon ein paar Tage älter, aber immer noch interessant: Der digitale Mischkonzern Oracle muss offenbar massiv Stellen im Bereich Adtech-/Datenhandels abbauen. Dass das Unternehmen in den letzten Jahren Milliarden für Zukäufe ausgegeben hat, die es zu einem der größten Player im Tracking-Bereich gemacht haben, könnte sich als grandiose strategische Fehlentscheidung entpuppen, mutmaßt Bloomberg-Journalist Nico Grant. Die Datenschutzgrundverordnung und andere Regulierungen machen das Geschäft mit den persönlichen Daten deutlich weniger lukrativ, als es mal den Anschein machte.

Mathias Döpfner interviews Palantir CEO Alex Karp (Springer-Podcast inside.pod)

Dieser Podcast ist in der vergangenen Woche schon einmal quer durch die deutsche Presselandschaft gereicht worden, aber man versteht auch warum. Springer-Chef Mathias Döpfner interviewt seinen Kumpel Alexander Karp, CEO des Datenanalysten Palantir Technologies, einem der derzeit wertvollsten Start-ups der Welt. Seine Kunden: fast alle Regierungen und Geheimdienste des Westens. Karp schafft es, Palantir, das unter anderem der hessischen Polizei bei der Vereitelung eines Terroranschlags geholfen haben soll, als Wächter der freien Welt zu verkaufen. Ein faszinierender Einblick in das Denken eines Mannes, der sonst ausgesprochen verschwiegen und zurückhaltend lebt – und zu dessen Hobbys Tai Chi, Langlauf und Abhängen in Berlin zählen, wie wir jetzt wissen.

Jeden Tag bleiben im Chat der Redaktion zahlreiche Links und Themen liegen. Doch die sind viel zu spannend, um sie nicht zu teilen. Deswegen gibt es jetzt die Rubrik „Was vom Tage übrig blieb “, in der die Redakteurinnen und Redakteure gemeinschaftlich solche Links kuratieren und sie unter der Woche um 18 Uhr samt einem aktuellen Ausblick aus unserem Büro veröffentlichen. Wir freuen uns über weitere spannende Links & kurze Beschreibungen der verlinkten Inhalte, die ihr unter dieser Sammlung ergänzen könnt.

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Klausurheberrecht: Gebt die Abiklausuren frei!

CC-BY-SA 3.0 Lantus Bald stehen wieder in ganz Deutschland Abiturprüfungen an. Das resultiert für rund 440.000 Schülerinnen und Schüler nicht nur in einer Menge Stress, es verursacht möglicherweise auch einige Kosten. Wer sich auf die anstehenden Abschlussprüfungen vorbereiten will, muss nämlich in den meisten Bundesländern Prüfungsaufgaben aus den vergangenen Jahre kaufen – obwohl sie mit öffentlichen Mitteln erstellt werden. Einige Kultusministerien der Länder verkaufen die Veröffentlichungsrechte für ältere Abiaufgaben und Lösungen an private Schulbuchverlage, andere scheuen die Mühen der Veröffentlichung und stellen sie deshalb gar nicht kostenfrei zur Verfügung.

Eine gemeinsame Kampagne von FragDenStaat und Wikimedia Deutschland ruft nun bundesweit unter dem Namen „Frag sie Abi!“ dazu auf, die Abiaufgaben von 2010 bis 2018 über ein neues Portal in wenigen Klicks einzufordern. Die Idee dahinter: Je mehr Menschen mitmachen, desto höher ist die Motivation der Ministerien, zentrale Prüfungsaufgaben standardmäßig kostenfrei zum Download bereitzustellen.

16 unterschiedliche Regelungen

Die automatisch generierten Anfragen basieren auf den Informationsfreiheitsgesetzen der Länder. Manche Bundesländer veröffentlichen schon jetzt einige Prüfungsaufgaben, etwa Berlin, Brandenburg und Bayern . Oft stehen der Veröffentlichung aber auch einzelne urheberrechtlich geschützte Passagen wie Textauszüge oder Bildmaterial entgegen. Das Land Nordrhein-Westfalen verdient mit dem Verkauf von Abiaufgaben an private Verlage bisher rund 15.000 Euro pro Jahr .

Wikimedia fordert daher von den Bundesländern, öffentlich finanziertes Bildungsmaterial für alle Menschen zugänglich und nutzbar zu machen. Nach dem Grundsatz „Öffentliches Geld – Öffentliches Gut‟ sollten die Abituraufgaben vergangener Jahre freigegeben werden.

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„Crawlen, Überwachen und Sammeln“: EU forscht an Suchmaschine für kriminelle Internetinhalte

Der obligatorische Hacker im Kapuzenpullover als Illustration eines EU-Forschungsprojekts zum Aufspüren terroristischer Internetinhalte. Alle Rechte vorbehalten RED ALERT Im Sicherheitsforschungsprogramm „TENSOR“ entwickelt die Europäische Union die automatische Erkennung von kriminellen Inhalten im Internet. Die Technik soll im automatisierten Verfahren „Material zur Förderung terroristischer Gewalt und Radikalisierung“ aufspüren. Auf der Projektwebseite wird dies als „Crawlen, Überwachen und Sammeln“ bezeichnet. Die Software soll sich auch mehrsprachig in sozialen Medien bewegen und „dialoggestützte Bots“ mit Künstlicher Intelligenz nutzen. Gefundene kriminelle Inhalte werden anschließend kategorisiert und interpretiert, damit sie von Strafverfolgungsbehörden genutzt werden können. Die Software zur „Internetdurchdringung“ soll auch im Darknet ermitteln.

Das Projekt ist die technische Umsetzung der Forderung nach einer „Früherkennung terroristisch organisierter Aktivitäten, Radikalisierung und Rekrutierung“, wie sie der Rat der EU-Staaten vor zwei Jahren in Schlussfolgerungen und die EU-Kommission in einer Mitteilung gefordert hatten. Dort wird nicht nur die schnelle Entfernung „illegaler Online-Inhalte“ angemahnt, sondern auch deren „proaktive Erkennung“.

Beratung von der Hochschule der Polizei

„TENSOR“ wird von der Polizei aus Nordirland geleitet. Neben weiteren europäischen Polizeibehörden sind mehrere Rüstungskonzerne und Forschungsinstitute beteiligt. Deutsche Teilnehmer sind das Cybercrime Research Institute in Köln und die Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern. Beraten werden die ForscherInnen von der Deutschen Hochschule der Polizei, den Vereinten Nationen und von Interpol. Die internationale Polizeiorganisation könnte die Ergebnisse von „TENSOR“ anschließend weltweit bekannt machen und Polizeibehörden in der Anwendung trainieren .

Im September hatte die Kommission ihren Vorschlag zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte vorgelegt. Die darin geforderten Uploadfilter für „extremistisches“ oder „terroristisches“ Material sollen auf eine Datenbank zurückgreifen, die YouTube, Google, Twitter und Facebook gestartet haben. Dort werden keine ganzen Dateien gespeichert, sondern deren Hashwerte. Forschungen wie in „TENSOR“ gehen darüber hinaus und sollen bislang unbekannte Inhalte entdecken. Diese könnten dann ebenfalls in den Uploadfilter aufgenommen werden.

Die Hash-Datenbank der  großen Internetfirmen wird auch von europäischen Polizeibehörden gefüttert. Die Polizeiagentur Europol betreibt dazu in Den Haag eine „Meldestelle“ für Internetinhalte, die selbst das Internet nach mutmaßlich kriminellen Inhalten durchsucht und anschließend Entfernungsanordnungen an die Firmen versendet. Dabei handelt es sich nicht um Inhalte oder Accounts, die von Gerichten oder Staatsanwaltschaften als strafbar eingestuft werden, sondern um Einschätzungen der Polizeibehörden.

Speicherung in Europol-Analysedatei

Bei Europol würde vermutlich auch die Suchmaschine aus „TENSOR“ eingerichtet. Damit sie für die Strafverfolgung nutzbar sind müssen alle Inhalte, die Europol als kriminell erachtet, heruntergeladen werden. In Den Haag werden sie in der Europol-Analysedatei „Check the Web“ gespeichert, die aus einem Projekt des Bundeskriminalamt (BKA) hervorging.

Zur Verwaltung von Entfernungsanordnungen betreibt die „Meldestelle“ bei Europol eine „Internet Referral Management Application“ (IRMA). Die Datenbank soll Accounts oder Inhalte verwalten, die bereits zur Entfernung gemeldet wurden, sodass eine zweite Anordnung nicht mehr nötig ist. Manche Internetinhalte werden jedoch von Polizei- oder Geheimdiensten beobachtet und sollen deshalb online bleiben. Auch diese im Widerspruch stehenden Ersuchen werden über IRMA moderiert. Im Rahmen eines Pilotprojekts wurden Frankreich, die Niederlande sowie Belgien an die IRMa angeschlossen, vor wenigen Wochen folgte das BKA.

Zur Erleichterung von Ermittlungen im Internet hat Europol das Portal SIRIUS online gestellt . Es enthält „Leitfäden, Tipps, Foren, Fragen & Antworten sowie Tools der Strafverfolgungsbehörden“. Dort erfahren ErmittlerInnen, über welche Kontaktstelle bei Internetfirmen die Entfernung von Inhalten beantragt werden kann. SIRIUS enthält auch Anleitungen über „Arten von Daten“, die im Rahmen von Ermittlungen als Beweismittel „direkt von den Diensteanbietern abgerufen werden können“. Zur Vereinfachung grenzüberschreitender Abfragen „elektronischer Beweismittel“ haben sich der Rat und das Europäische Parlament kürzlich auf eine gemeinsame Verordnung verständigt.

Mehr als „Clean IT“

Viele der Maßnahmen, mit denen jetzt das Internet kontrolliert und überwacht wird, basieren auf dem früheren EU-Forschungsprojekt „Clean IT“. Unter niederländischer Leitung sollte es die Erkennung und Entfernung von „gewalttätigen oder –befürwortenden Formen des Terrorismus und Extremismus“ verbessern. Die im Abschlussbericht vor sechs Jahren genannten Schlussfolgerungen und Empfehlungen sind weitgehend umgesetzt. So empfahl „Clean IT“ beispielsweise die Einrichtung von privaten und polizeilichen Meldestellen, ein System vertrauenswürdiger Hinweisgeber und einer gemeinsamen Datenbank für bekannte terroristische Inhalte. Die Installation von Uploadfiltern, wie sie die Kommission jetzt fordert, war in „Clean IT“ nicht vorgesehen. Die ForscherInnen rieten stattdessen zu nutzerbasierten Werkzeugen („end-user controlled filters“). Eine Entfernung von Inhalten sollte demnach stets auf dem Rechtsweg erfolgen. Heute sollen hierüber jedoch die Firmen entscheiden.

Für die Forschungen in „TENSOR“ zahlt die Europäische Kommission rund 5 Millionen Euro , weitere 600.000 Euro finanzieren die Beteiligten. Das Projekt endet am 31. August, dann werden die Ergebnisse vorgestellt. Mit „DANTE“ , „Asgard“ und „RED-ALERT“ betreibt die Kommission ähnliche Forschungen, die weitere Zusatzfunktionen wie die Verfolgung von Finanzströmen oder die Spracherkennung bereitstellen. Denkbar wäre auch, diese Suchmaschinen mit Gesichtserkennung auszustatten. Mit einer solchen Anwendung sucht Interpol derzeit im Internet nach gerichtsverwertbaren Beweisen zu „ausländischen Kämpfern“. Laut einem Dokument , das die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch online gestellt hat, betreibt auch die Polizeiagentur Europol unter dem Namen „FACE“ ein solches Projekt.

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NPP165 mit Anke Domscheit-Berg zum NetzDG: „Dann mach doch kein Facebook.“

Das NetzDG zwingt Plattformen zum Löschen von illegaler Hassrede, trägt aber wenig zur Lösung des Problems bei. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Tommaso Pecchioli- „Hass im Netz ist der wahre Feind der Meinungsfreiheit“, sagte der damalige Justizminister Heiko Maas im Bundestag, bevor im Sommer 2017 das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) verabschiedet wurde. Die Absicht: illegale Hassrede und Hetze im Netz bekämpfen, indem Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube diese zügig löschen müssen.

Ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes sagt die Abgeordnete Anke Domscheit-Berg, selbst regelmäßig Zielscheibe von Hass im Netz: Das Gesetz geht am Ziel vorbei. „Mir kommt es nicht darauf an, dass etwas aus dem Netz verschwindet.“ Viel wichtiger sei doch, dass Straftaten auch tatsächlich angezeigt und verfolgt werden. Was der Staat tun sollte, was aber auch jede*r Einzelne im Netz dazu beitragen kann, dass andere vom Hass nicht erschlagen werden, erklärt sie im Gespräch.

Als Bonusrunde des knapp 40 Minuten langen Podcasts sprechen wir noch über das Thema, mit dem Domscheit-Berg jede ihrer Reden im Bundestag schließt : Dem Paragraphen 219a im Strafgesetzbuch, der Informationen zum Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellt.

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Wie immer könnt ihr den Podcast auch als OGG-Datei herunterladen .

Shownotes:

Übersichtseite für „NPP – Der Netzpolitik-Podcast“

Anke Domscheit-Berg (Wikipedia | eigene Webseite | Twitter )

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (Gesetzestext)

Berichterstattung auf netzpolitik.org zum NetzDG

Berichterstattung auf netzpolitik.org zu §219a

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Was vom Tage übrig blieb: Cyber-Sanktionen, Seehofer und Urheberrechts-Hass

Langsam, aber sicher werden die Tage wieder stückchenweise, err, Verschwommen. Ach. Schöner! CC public domain Copyright Directive: IFJ/EFJ reject the Romanian compromise (IJF)

Kurz vor dem Endspurt mehrt sich der Widerstand: Die Internationale Journalistenföderation und ihr europäischer Ableger wenden sich gegen den vorliegenden Entwurf für die EU-Urheberrechtsreform . Die Vorschläge täten nicht genug, um eine angemessene Entlohnung von Autorinnen und Autoren zu gewährleisten. Selbst der Bertelsmann-Konzern, der auf die Reform gedrängt hat, lehnt sie inzwischen ab, wie Spiegel Online berichtet . Der österreichische Standard fasst die neue Lage zusammen : „Fast jeder hasst die EU-Urheberrechtspläne, sogar große Verlage“.

U.K., Netherlands Lead EU Push for New Cyber Sanctions (Bloomberg)

Einige EU-Staaten drängen darauf, fremde Staaten und Organisationen für Cyberattacken mit Sanktionen bestrafen zu können. Eine Entscheidung darüber könnte der Rat der EU-Länder bereits nächste Woche treffen. Da bleibt nur die Frage offen, wie gut sich solche Attacken eigentlich konkreten Tätern zuordnen lassen. Nach bisherigen Vorschlägen will man sich dabei auf die Expertise privater Sicherheitsfirmen verlassen.

Ermittler-Zugriff auf Daten bei Providern: Kritik an EU-Kommission (Heise)

Die EU-Kommission und die Mitgliedsstaate wollen Behörden künftig den grenzüberschreitenden Zugriff auf elektronische Beweismittel ermöglichen, auch ohne Zustimmung des Sitzstaates der betroffenen User und Provider. Dem EU-Parlament stößt das auf: In zwei Stellungnahmen kritisiert die SPD-Abgeordnete Brigit Sippel die Vorschläge. Die zuständige Berichterstatterin des Parlaments wünscht sich weitaus mehr Schutzmaßnahmen für Anbieter und Betroffene.

Facebook hat das Netz verwanzt (Süddeutsche Zeitung)

Es gibt keine Flucht vor der eigenen Geschichte, zumindest im Facebook-Universum. Die lange angekündigte Funktion „Clear History“ lässt weiterhin auf sich warten, berichtet die Süddeutsche Zeitung.

MoneyLab #6: Infrastructures of Money (moneylab)

Das Institute of Network Culture aus Amsterdam veranstaltet am 7. und 8. März mit der Universität Siegen einen gemeinem Moneylab-Workshop zur Zukunft des Geldes. Dabei steht auch der Hype um Kryptowährungen und Blockchain im Visier der Forscher.

Was Porno und Politik miteinander zu tun haben (Zündfunk)

Der Podcast vom Zündfunk beschäftigt sich mit maskulinistischer Identitätspolitik in den USA. Er wirft spannende Bezüge zwischen 4chan, Pornographie und der Trump-Bewegung auf.

Seehofer bleibt sich treu (taz.de)

Dinah Riese zerlegt in ihrem Kommentar das so genannte „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ (Referentenentwurf ) aus dem Hause von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Eine der Härten darin: Wer in Zukunft auf Abschiebeflüge im Netz hinweist, soll mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. Die Maßnahme soll offenkundig Solidarität mit Menschen, die abgeschoben werden sollen, unterbinden.

Mirror test hints at surprising cognitive abilities in fish (Reuters)

Ein kleiner Putzerfisch hat offenbar die Fähigkeit, sich selbst im Spiegel zu erkennen. In der Tierwelt ist dies kognitive Leistung nur sehr wenigen Arten vorbehalten. Bei der Versuchsanordnung mit dem Spiegel geht es darum zu testen, ob sich ein Tier selbst bewusst ist. Menschen bestehen den Test ab einem Alter von etwa 18 Monaten.

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Netzpolitischer Wochenrückblick KW 6: Gar nicht so schlechte Nachrichten

Das meiste liegt unter der Oberfläche Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Wade Lambert Unser Wochenrückblick wird auch als wöchentlicher Newsletter verschickt. Hier könnt Ihr Euch anmelden.

Überraschenderweise besteht der Großteil der Meldungen in dieser Woche aus positiven Ereignissen. Nummer eins: Die Registrierungsdaten von 5,1 Millionen deutschen Firmen und Organisationen stehen jetzt als offener Datensatz im Netz . Geschenkt haben uns dieses Datenpaket die Open Knowledge Foundation und Open Corporates. Wer wollte, konnte zwar vorher schon unter handelsregister.de schauen, wer Geschäftsführer einer Firma ist. Komfortabel war das aber nicht. Jetzt sind die Daten zum Download bereit und ne API gibt es auch noch.

Ideen zum Spielen: Wisst ihr eigentlich, wie viele Immobilienfirmen der Geschäftsführer eurer Hausverwaltung so hat? Und wem gehört eigentlich der zwielichtige Schuppen um die Ecke?

Auto, Motor, Bürgerrechte

In Hessen, Bayern und Baden-Württemberg hat die Ampel für automatisierte Kennzeichenerfassung auf rot geschaltet. Oder auf kirschgelb zumindest. Das Bundesverfassungsgericht hat sie für teilweise verfassungswidrig erklärt, unter anderem fehle es an Verhältnismäßigkeit.

Daraufhin ist auch die Datenschutzbeauftragte von Niedersachsen auf die Bremse getreten und hat das Innenministerium aufgefordert, Tests mit Kennzeichenscannern zu stoppen , die auch die Durchschnittsgeschwindigkeit von Autos messen. Hup, hup!

Nicht so positiv: Bericht aus Brüssel

Alex berichtet aus Brüssel, dass Upload-Filter als Teil der EU-Urheberrechtsreform immer noch nicht vom Tisch sind. Ein paar Ausnahmen sind zwar aktuell vorgesehen, aber auch die gehen CDU-Politiker Axel Voss zu weit.

Trotz ausdrücklichem Verbot nutzen viele Länder Interpol-Haftbefehle zur Verfolgung ihrer Opposition. Die Polizeiorganisation will zehntausende Ausschreibungen deshalb genauer überprüfen . Im Visier steht vor allem die Fahndung nach Asylsuchenden.

Aus der EU kommen die Pläne, dass Polizei- und Justizbehörden leichter auf Cloud-Daten in den USA zugreifen können. Das geht zwar jetzt schon, dauert aber ein Monate. Eine vereinfachtes und schnelleres Verfahren könnte die Abfragen in die Höhe katapultieren. Ähnlich wie bei der Zusammenführung von biometrischen Datentöpfen , einem weiteren EU-Projekt.

Übrigens, Biometrie: Gesichtserkennung tut sich oft schwer mit Frauen und Schwarzen. Die MIT-Forscherin Joy Buolamwini hatte das für mehrere Software-Lösungen untersucht und den Herstellern Feedback gegeben. Und seitdem hat sich wirklich was verbessert .

Captain Obvious erinnert: Facebook beherrscht den Markt

Das Bundeskartellamt hat nach drei Jahren Prüfen amtlich bestätigt , dass Facebook den Markt beherrscht und diese Position dann noch unzulässig ausnutzt. Jetzt soll Facebook ein Konzept erstellen, wie es unter anderem Nutzerinnen besser informieren kann. Klingt jetzt nicht so als würde Facebook davor zittern müssen, findet Markus. Die Entscheidung kann nur ein erster Schritt sein, schreibt er in einem Kommentar .

Einigkeit, dass Facebook den Markt dominiert, herrscht auch bei Oppositionsparteien und Regierung . So viel Harmonie erleben wir da nur selten. Der einzige, der Facebook immer noch nicht marktbeherrschend findet, ist wohl Facebook selbst.

Welche krassen Auswirkungen es haben kann, wenn über Facebook Falschnachrichten verbreitet werden, erklärt die Journalistin Yemisi Adegoke im Interview . In Nigeria führte das unter anderem zu Ausschreitungen mit Todesopfern. In dem westafrikanischen Staat waren vier Personen für die Faktenprüfung auf Facebook zuständig, sprachen aber die falsche Sprache.

Und noch etwas von einer ganz anderen Baustelle: Dem 5G-Ausbau. Der chinesische Telekom-Konzern Huawei will dabei groß mitspielen. Doch in Europa mehrt sich der Verdacht gegen Huawei: Lässt seine 5G-Ausrüstung Hintertüren für Spionage Chinas? Huawei tut alles, um Bedenken gegen sich zu zerstreuen. Ein Lobby-Bericht aus Brüssel.

Mediathek’n’chill?

Wer am Wochenende schon vormittags auf dem Sofa rumgammelt und der Tatort des vergangenen Sonntags nachholen will, bekommt es manchmal mit der Altersbeschränkung zu tun. Erst nach 20 Uhr! (Den Tatort von letzter Woche betrifft das übrigens nicht, die Autorin findet das verwunderlich.) ZDF-Fans haben es besser, sie können sich seit kurzem registrieren und so altersbeschränkte Inhalte in der ZDF-Mediathek rund um die Uhr nutzen – aber nur in Deutschland. Warum eigentlich? Das fragt auch Leonhard in der neuen Folge „Neues aus dem Fernsehrat“.

Garantiert ohne Geoblocking: unser Podcast. Wer das noch nicht getan hat, kann unsere aktuelle Folge zu dem Leak des Verfassungsschutz-Gutachtens und brandenburgischer Polizeigesetzpolitik nachhören! Lohnt sich. Und ist gar nicht so deprimierend wie es klingt.

Und noch mehr gute Laune: Wir haben für unsere Recherchen zu #Polizeitwitter noch einen Preis bekommen , den Surveillance-Studies-Preis in der Extra-Kategorie der Jury-Auswahl. Yay, danke dafür!

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Missbrauch von Haftbefehlen: Interpol will aufräumen

Strammstehen bei der Generalversammlung von Interpol in 2017. Alle Rechte vorbehalten Interpol Interpol überprüft zehntausende Haftbefehle auf möglichen Missbrauch. Denn einige Staaten nutzen internationale Haftbefehle dazu, Regierungsgegner zu verfolgen. Eine eigens eingerichtete Arbeitsgruppe von Interpol nahm vor kurzem die Arbeit auf. Die Task Force besteht aus sieben MitarbeiterInnen aus der Slowakei, Kroatien, Schweden und der Ukraine, heißt es in einem nun veröffentlichten EU-Dokument . Das Bundeskriminalamt (BKA) möchte ebenfalls eine Volljuristin in die Arbeitsgruppe zur Überprüfung der Haftbefehle schicken. Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz erwägt die Entsendung von Personal aus den Landesjustizverwaltungen.

Interpol ist nach Artikel 3 der Statuten jede „Betätigung oder Mitwirkung in Fragen oder Angelegenheiten politischen, militärischen, religiösen oder rassischen Charakters“ untersagt. Die internationalen Fahndungen zur Festnahme (die sogenannten „Rotecken“ ) dürfen diese Politik nicht unterlaufen. Viele Länder nutzen den Interpol-Kanal trotzdem zur politisch motivierten Fahndung.

Nur Haftbefehle werden geprüft

Eine Fahndung zur Festnahme wird über das Zentralbüro des ausstellenden Mitgliedstaates an Interpol geschickt. Über diesen Interpol-Kanal werden die Ersuchen an alle 194 Mitgliedstaaten verteilt, möglich ist aber auch der Versand an einen regional eingegrenzten Empfängerkreis. Nur wenn eine Zentralbüro zu diesem Verteiler gehört, erfährt es von der Fahndung. Die deutsche Kontaktstelle ist das BKA in Wiesbaden.

Die „Buntecken“ bei Interpol. Nur zwischen 2014 und 2016 ausgestellte „Rotecken“ werden rückwirkend geprüft. Alle Rechte vorbehalten Interpol

In der Datei für „Rotecken“ sind derzeit mehr als 200.000 Personen gespeichert, seit 2014 war ihre Zahl um 30 Prozent gestiegen. Die Untersuchung des „Fahndungsaltbestands“ betrifft 80.000 Haftbefehle, die vor 2016 ausgestellt worden sind. Nicht nachträglich überprüft werden die „Buntecken“ in den Farben Blau („Bitte um den Aufenthaltsort der Ausgeschriebenen“) oder Grün („Warnungen“), die von Staaten ebenso zur politischen Verfolgung genutzt werden könnten.

Vorher werden die eingehenden Fahndungsersuchen auch bei Interpol auf einen Verstoß gegen Artikel 3 überprüft. Die Zentralbüros sind zur verstärkten Wachsamkeit aufgerufen und sollen einen möglichen Missbrauch an das Interpol-Generalsekretariat melden. Laut dem Bundesinnenministerium sind derartige Benachrichtigungen „in der Vergangenheit verschiedentlich erfolgt“. Wie viele Haftbefehle das BKA daraufhin ausgesondert hat, ist nicht dokumentiert.

Fahndende Behörde soll Asylantrag mitteilen

Das Generalsekretariat hatte die Zentralbüros seit 2014 über die Rücknahme von 130 Fahndungen informiert. Jedoch entschied die Bundesregierung, fünf Ersuchen trotz schwerwiegendem Verdacht nicht auszusondern, sondern als nationale Haftbefehle weiterzuführen . Verantwortlich sind das Bundesamt für Justiz und das Auswärtige Amt.

Im Juni 2014 hatte das Interpol-Sekretariat beschlossen, Haftbefehle für Schutzsuchende besonders zu prüfen. Hierzu sollen die ausstellenden Behörden angeben, wenn eine mit „Rotecke“ gesuchte Person in einem anderen Land einen Antrag auf Asyl gestellt hat oder dieser sogar positiv entschieden wurde. Die Generalversammlung von Interpol hat dieses Verfahren vor zwei Jahren in einer Resolution bestätigt. Jetzt werden die Mitgliedstaaten an die Umsetzung erinnert.

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Chinas fleißigster Lobbyist: Wie Huawei um seine Rolle im 5G-Ausbau kämpft

Auf Charmeoffensive: Huawei-Chef Ren Zhengfei 2012 auf Besuch in Brüssel Alle Rechte vorbehalten European Union Da war ein Misston, mitten in einem rauschenden Empfang. Huawei feierte gestern Abend in Brüssel das chinesische Neujahr, in Festsälen und mit Champagner, ganz wie es sich für Lobbyisten-Empfänge in Brüssel gehört. Auf der Bühne verzog Huaweis Cheflobbyist Abraham Liu keine Miene, aber seine Worte trafen.

Am Vorabend hatte der US-Botschafter in Brüssel, Gordon Sondland, Europa vor Huawei gewarnt. Es gebe keinen Grund, mit den Chinesen Geschäfte zu machen, solange sie die Möglichkeit hätten, ihre Kunden zu manipulieren und auszuspionieren, sagte Sondland .

Huawei-Lobbyist Liu nutzte den eigenen Empfang, um zurückzufeuern. Wer so etwas verbreite wie der US-Botschafter, der „beleidige die Intelligenz der Leute“, sagte Liu. „Europa fühlt sich wie unsere zweite Heimat an.“ Lius Botschaft ist Klar: Huawei ist hier, um zu bleiben.

Frisch aus dem 3D-Drucker: Beim Empfang in Brüssel gab es Huawei-Logos aus Schoko CC-BY 4.0 Alexander Fanta

Doch Huawei bereitet Europa Kopfzerbrechen. Alle EU-Staaten arbeiten am Aufbau von 5G-Netzen, dem mobilen Breitbandnetz der Zukunft. Huaweis günstige Preise für Netzwerk-Ausrüstung geben dem Konzern gute Chancen auf eine Schlüsselrolle. Immer öfter sind aber Zweifel zu hören: Sind die Produkte der Chinesen wirklich sicher?

Für Huawei ist die Debatte weder unerwartet, noch trifft sie den Konzern unvorbereitet. Die Chinesen bauen seit Jahren an ihrem Lobby-Netzwerk in Brüssel.

Ein Konzern unter Verdacht

Die USA sind seit langem skeptisch gegenüber Huawei. Bereits 2012 sprach ein Bericht des US-Kongresses von Spionage-Hintertüren in Huawei-Produkten. Diese Woche warnte die US-Regierung Europa erneut vor Sicherheitslücken in chinesischer Hardware. Den Argwohn verstärkt ein Sicherheitsgesetz aus 2017, das Chinas Telekom-Firmen die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden vorschreibt. Huawei gilt außerdem als eng mit Chinas Führung verbunden. Wenn Huawei das mobile Breitbandnetz der Zukunft baut, wie soll sich Europa dann vor chinesischer Spionage schützen?

Die EU-Kommission erwägt Berichten zufolge eine Gesetzesänderung, die einen völligen Ausschluss Huaweis vom Netzausbau in Europa ermöglicht. Was auch immer die Kommission vorschlägt: Der Fall ist wegweisend für Europas Umgang mit China.

In Europa wurden Bedenken gegen Huawei lange Zeit beiseite gewischt. Doch im Januar verhafteten polnische Behörden einen Huawei-Mitarbeiter als Spion . Der Vorfall ließ die Alarmglocken schrillen. Die tschechische Agentur für Cybersicherheit warnt bereits davor vor Sicherheitsrisiken durch Huawei-Equipment. Dänemark wies indes Huawei-Mitarbeiter aus, die gegen arbeitsrechtliche Auflagen verstoßen haben sollen.

In den EU-Hauptstädten wird das Raunen immer lauter. Kanzlerin Angela Merkel fordert Sicherheitsgarantien von Huawei für die Beteiligung der Firma am 5G-Ausbau. In Frankreich und Großbritannien verweigern einige Provider die Zusammenarbeit mit Huawei. Würde der Konzern in ganz Europa vom 5G-Geschäft ausgeschlossen, verlöre er Milliarden – und seinen neben China wichtigsten Markt.

Huawei versichert, die Bedenken ausräumen zu wollen. „Cybersicherheit ist unsere Top-Priorität“, sagt Huawei-Lobbyist Liu. Er sieht die Zweifel an Huawei vor allem als geopolitisches Manöver der Amerikaner. Technische Fragen wie Sicherheit ließen sich nicht in ideologischen Konflikten lösen, sagte Liu. „Wenn Huawei vom Markt ausgeschlossen wird, bedeutet das nicht, dass die Netzwerke sicher sind.“

Huawei: Chinas Lobby-Primus

Huawei lobbyiert seit 2009 die EU-Institutionen in Brüssel. Mit 2,2 Millionen Jahresbudget und 10 Lobbyisten spielt der Konzern inzwischen finanziell in der selben Liga wie Facebook, Amazon oder IBM. Der Sitz des Brüsseler Büros der Chinesen ist im selben Gebäude wie der von Google, direkt hinter dem Europäischen Parlament.

Huawei ist unter den 100-Firmen mit dem höchsten Lobby-Budget die einzige aus China. Einfluss sichert die Firma sich auch als Mitglied und Sponsor von Branchenverbänden wie Digital Europe und den Thinktanks CEPS und Bruegel .

Die Lobbyisten von Huawei sind umtriebig. Vertreter des Konzerns trafen seit 2015 laut amtlichem Lobby-Register 43 Mal Spitzenvertretern der EU-Kommission. Bei vielen der Treffen ging es um 5G-Netze, neun Meetings liefen unter dem Stichwort. Vertreter von Huawei besprachen aber auch Beziehungen der EU mit China und Cybersicherheit.

Cyberpartner mit Tücken

Beim heiklen Thema Sicherheit versucht Huawei seit Langem, sich in Brüssel als Partner zu präsentieren. Das zeigen auf unsere Anfrage veröffentlichte E-Mails der Kommission. Die E-Mails geben Einblick in Meetings mit Huawei. Im September 2017 traf sich ein Konzernlobbyist mit dem Kabinett von EU-Digitalkommissarin Mariya Gabriel.

Die Chinesen wollten die Sicherheitsbedenken gegen sie zerstreuen, schrieb ein Kommissionsbeamter danach an Kollegen . Demnach bot Huawei an, sich an einem geplanten EU-Kompetenzzentrum für Cybersicherheit zu „beteiligen“. Ein Sprecher der Kommission betont auf Nachfrage, dass keine finanzielle Beteiligung gemeint gewesen sei. Huawei habe keinen Anteil an Plänen für das Kompetenzzentrum gehabt.

Huawei ging wenig später in die Offensive: Am 25. Mai 2018, dem ersten Tag der Wirksamkeit der Datenschutz-Grundverordnung, traf Huawei-Vizechef Ken Hu den Vizepräsidenten der EU-Kommission, Jyrki Katainen. Hu wolle eine „wichtige Ankündigung“ machen, schrieb ein Huawei-Lobbyist zuvor an Katainens Büro .

Am selben Tag kündigte Huawei an, ein eigenes Zentrum für Cybersicherheit mit Sitz in Brüssel einzurichten. Es soll nächsten Monat eröffnet werden.

Was Huawei dem Kommissionsvizechef Katainen an dem Tag sagte, bleibt jedoch unklar. Laut der Kommission gibt es – für solche hochrangigen Treffen sehr unüblich – keine Aufzeichnung über das Meeting.

Jobs, Reisen und Geschenke

Der chinesische Konzern umgarnte in den vergangenen Jahren immer wieder EU-Beamte mit Jobs. 2013 heuerte etwa der ehemalige EU-Botschafter in China, Serge Abou, bei Huawei als Lobbyist an. Ein zur selben Zeit begonnenes Wettbewerbsverfahren der EU-Kommission gegen Huawei und ZTE wegen Dumpingvorwürfen verlief im Sande. Derzeit laufen keine Wettbewerbsverfahren der EU gegen Huawei, sagte ein Sprecher der Kommission auf Anfrage von netzpolitik.org.

Huawei zeigt sich gerne freigiebig mit Geschenken und Einladungen. Das entspricht wohl chinesischen Vorstellungen von „Guanxi“ , dem Austausch persönlicher Gefälligkeiten. Huawei lud rund um die olympischen Spiele in Peking 2012 mehrfach britische Abgeordnete nach China ein. Das sorgte damals für Nasenrümpfen .

2013 gaben Vertreter von Huawei dem damals wenig bekannten CSU-Abgeordneten Manfred Weber bei einer Reise von Abgeordneten der Europäischen Volkspartei nach China ein Handy mit in den Geschenkbeutel . Das Präsent sei unerwünscht gewesen, heißt es heute aus dem Büro des heutigen Fraktionschefs und Spitzenkandidaten. Man habe das Gerät bei der zuständigen Stelle im Parlament abgegeben.

Geopolitisches Gedrängel

Während in Brüssel überlegt wird, ist man jenseits des Atlantik wenig zimperlich. Die USA schloss Huawei und den chinesischen Konkurrenten ZTE von Infrastruktur-Projekten aus. Enge Verbündete folgen dem Beispiel der US-Regierung. Australien und Neuseeland verboten Huawei-Equipment beim 5G-Ausbau. Das könnte dem chinesischen Anbieter auch in den zwei anderen Mitgliedern des Five-Eyes -Spionagenetzes bevorstehen: Großbritannien und Kanada erwägen Schritte gegen Huawei-Beteiligung am 5G-Ausbau.

Für Ärger sorgt auch ein Rechtsstreit: Die US-Regierung ließ per internationalem Haftbefehl im Dezember in Kanada die Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou verhaften. Sie ist die Tochter von Unternehmensgründer Ren Zhengfei. Der Vorwurf: Verstoß gegen die Iran-Sanktionen. China nahm daraufhin 13 kanadische Staatsbürger fest. In diesem Streit schwingt deutlich Geopolitik mit: Die US-Regierung von Präsident Donald Trump will Härte gegenüber China zeigen.

Seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren wettert Trump unablässig gegen China und deren wachsende wirtschaftliche Dominanz. Im Fall Huawei geht es um mehr als Sicherheitsbedenken: US-Firmen sind bei der Vergabe der Aufträge für den 5G-Ausbau direkte Konkurrenz der Chinesen. In Europa gibt es mit Nokia und Eriksson gleich zwei Firmen, die von einem Ausschluss Huaweis vom Netzausbau profitieren würden.

Bei der Entscheidung um Huawei geht es um Sicherheit, um Wirtschaft und um Geopolitik. Wie auch immer sie ausgeht, sie wird uns bis in unsere Hosentaschen verfolgen.

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